Das erste Weihnachtsfest war voller Unruhe. Keine stille klare Nacht der hohen Sterne, kein Friede unter der Kreatur und in der Gesellschaft: Die Weihnachtsgeschichte des Lukas berichtet von sehr viel Bewegung.
lnmitten einer von einer fernen Obrigkeit befohlenen kleinen Völkerwanderung wird Christus geboren. Keine feierliche Vorbereitung auf die Geburt, keine gedämpften Stimmen, um die Mutter nicht zu stören. Im Gegenteil: Entgegen allen Regeln der Fürsorge und Hygiene meldet sich Besuch, die Hirten kommen mitten in der Nacht hereingestürmt. Im Umgang mit ihren Tieren sind sie sicher nicht gewohnt, leise aufzutreten, vermutlich können sie nicht einmal ihre Stimmen dämpfen, denn in der Auseinandersetzung mit wilden Tieren kommt es darauf an, sich mit lauten Stimmen zur Wehr zu setzen, um Angriffe abzuwehren. Also: Es war ganz sicher keine stille Nacht - das wurde sie erst später, beeinflusst durch die Poesie der Weihnachtsgeschichte, dargestellt von unzähligen Malern, interpretiert von vielen Schriftstellern und Poeten.
Diese Bewegung, die so eindeutig die Weihnachtsgeschichte prägt, steigert sich noch: Die Hirten bleiben nicht. Sie lassen sich wenig Zeit, ihr Besuch wird nicht ausgedehnt. Sie brechen bald wieder auf, sie kehren zurück in die Nacht, sie kehren zurück in ihr Alltagsgeschäft. Aber auch Maria kommt innerlich nicht so schnell zur Ruhe. Der Text sagt von den Hirten: Sie kehrten wieder um, priesen und lobten Gott; und von Maria heißt es: Sie bewegte alle diese Worte in ihrem Herzen.
Die Weihnachtsbotschaft spricht von einem Gott, der die als
unüberwindlich geltenden Grenzen von oben und unten außer Kraft setzt. In
dieser Geschichte ist wirklich alles in Bewegung, nicht nur einige Menschen,
sondern Himmel und Erde bewegen sich aufeinander zu, die Grenzen werden
plötzlich hinfällig, nichts bleibt beim Alten, nichts bleibt so, wie man es seit
Jahrhunderten und Jahrtausenden gewohnt war. Gott bindet sich an die Welt:
Christus wird geboren.
Aus dieser Geburtsgeschichte lässt sich sehr deutlich die Bewegung herauslesen, in die Menschen versetzt werden, die sich mit dem nahekommenden Gott beschäftigen. Nirgendwo ist etwas von Zurückweichen, erst recht nicht von Zaudern oder von Unbeweglichkeiten zu lesen. Es bleibt eben nicht alles beim Alten: Weihnachten ist ein das Herz, den Mund und die Füße bewegendes Ereignis.
Die Hirten kommen nicht nach Bethlehem, um zu genießen. Sie kommen nicht, um flüchtige Festlichter in ihren trübseligen Alltag mitzunehmen. Sie kommen und sie gehen wieder. Sie gehen, weil es da nichts gibt, was sie stillzustehen und zu bleiben heißt. Sie gehen, weil das, was sie gesehen haben, fortan mit ihnen geht und weil sie es anderen Menschen schuldig sind, darüber zu sprechen. Die Bewegung Gottes zum Menschen bewegt die Menschen.
Stellen Sie sich vor, ein Reporter befragte die Hirten über ihre Erlebnisse in Bethlehem. Vermutlich hätten sie zur Enttäuschung des Fragers wenig zu berichten. Was bedeutet schon ein Kind oder die Geburt eines Kindes? Wer über das die Hirten so bewegende Ereignis hätte berichten wollen, der hätte sie in ihrem Leben und auf dem Feld im Umgang mit ihren Herden, in ihrem Alltag und in ihrem Beruf beobachten müssen. Dort entscheidet sich, ob das, was sie gesehen und gehört hatten, ihnen hilft, sich nicht trostlos um sich selber zu drehen, sondern es als tragfähigen Sinn und als Hoffnung in ihren bescheidenen Lebensablauf einzubauen.
Ebenso Maria. Was sie gehört hatte, das bewegte sie in ihrem Herzen. Mag sie auch äußerlich, erzwungen durch die Umstände, ruhig erscheinen - im Inneren laufen bei ihr Prozesse ab, im Inneren entstehen Gedanken und Gefühle: Das Abenteuer des Nachdenkens beginnt, wohl nicht nur allein in dieser Nacht, sondern auch in folgenden Tagen und in folgenden Nächten. Maria hatte etwas, worüber sich nachzudenken lohnte. Etwas, was das oftmals qualvolle Kreisen um sich selbst, den qualvollen Gefangenengang eingeschlossener Gedanken und Gefühle, unterbricht.
Gott hat sich in Christus an die Erde gebunden - nicht, um mit der Erde unterzugehen, sondern um ihr über sich selbst hinauszuhelfen, um sie aus dem selbstgenügsamen Dreh zu befreien und hinzuweisen auf das Getragen- und Begleitetsein von dem, was mehr ist als Erde, mehr ist als Vergangenheit und Gegenwart: nämlich Zukunft und Hoffnung.
Was ist anders geworden durch Weihnachten? Ich stelle mir vor: Menschen gehen wieder auf Menschen zu. Sie versuchen, die alten Worte, die zwischen ihnen stehen und die sie getrennt haben und möglicherweise auch weiterhin trennen, beiseite zu räumen. Sie versuchen, neue Worte zu finden, um die Brücke zum anderen wieder herzustellen. Oder aber: Menschen halten ihre Gedanken und Gefühle in Bewegung. Sie hüten sich vor Starrheiten, Vorurteilen und Gewohnheiten.
Weihnachten - ein unruhiges Fest? Ein Fest, das Impulse zum Leben gibt - ein Fest, das in Bewegung hält, ein Fest, das Bewegung bringt.