Ansprache zur Hubertus-Andacht am 3. November 2002[1]

gehalten von Propst Peter Godzik

 

Hubertus, so wird erzählt, will an einem Karfreitag jagen. Seine Frau warnt davor und bedrängt ihn, den Karfreitag als höchsten Feiertag des Jahres durch den Verzicht auf die Jagd zu achten. Hubertus schlägt die Mahnung seiner Ehefrau in den Wind. Er trifft im Zuge dieser Jagd auf eben jenen Hirschen, in dessen Geweih ihm der Gekreuzigte erscheint. Hubertus wird von Gott direkt angesprochen: „Hubertus, ich erlöste dich und dennoch verfolgst du mich!?“ Hubertus fällt auf die Knie und jagt hinfort nicht mehr.

Liebe Jägerkameraden! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gemeinde!

Schon der deutliche Bezug der Hubertuslegende zu Christusfrömmigkeit und kirchlichem Jahresfestkreis widersetzt sich einer allzu freifrommen Auslegung. Hubertus kniet nicht vor dem Trophäenträger, er kniet nicht vor der Natur, die den Schöpfer irgendwie symbolisiert, sondern Hubertus kniet vor Jesus Christus. Hier wird an eine Christuserfahrung erinnert. Und diese Christuserfahrung bricht sich ausgerechnet dort Bahn, wo der wilde Hubert sich einen Teufel um den Karfreitag schert und lieber seiner Neigung, seinem Trieb und seiner freien Laune nachgeht. Das heißt: Gott tritt dem zügellosen Menschen entgegen und führt in zurück in eine von ihm vernachlässigte Beziehung.

Wenn Jägerinnen und Jäger in ihren Kirchengemeinden in diesen Tagen Hubertusmessen feiern, dann neigen sie manchmal dazu, diese Hubertustradition zu romantisieren. Hörnerklang und Kerzenschein, die wir nun heute in St. Petri nicht in dem erwünschten Ausmaß erleben können, bewegen sanft das Gemüt und berühren verschüttete und vielleicht verdrängte Empfindungen. Wir alle tragen die Neigung in uns, Tradition möglichst unanstößig und sanft bewegt zu zelebrieren.

In der Legende vom Heiligen Hubertus liegt aber ein deutlicher Anstoß. Er liegt in der Frage, ob unser Leben noch in Beziehung steht zu Gott als dem Schöpfer allen Lebens. Lebt ihr noch in Beziehung zu eurem Gott? Pflegt ihr diese Beziehung? Und lasst ihr euch diese Beziehung auch einmal einen Verzicht kosten?

Beziehung, liebe Gemeinde, ist ein wichtiges Gut in der Bibel. Im Alten Testamentes schafft Gott den Menschen in vier festen Beziehungen: zunächst in der Beziehung zur Erde (Adam = Erdling), dann in der Beziehung zu den Mitgeschöpfen, weiter in der ausdrücklich gesegneten Beziehung zwischen Mann und Frau und schließlich in der Beziehung zu Gott selbst. In diesen vier Beziehungen wird dem Menschen das, was die Bibel Gottesebenbildlichkeit nennt, zugesprochen.

Durch Jesus von Nazareth erfahren diese vier Grundbeziehungen des Lebens eine neue Rangfolge. Jesus lehrt, dass in der gelebten Beziehung zu Gott alle anderen Beziehungen ihren Grund und ihr Ziel haben. Das heißt: wer Gott den Schöpfer liebt, wird seine Schöpfung und die Mitgeschöpfe auch lieben.

Und noch eine andere Beziehung kommt mit der Lehre Jesu in den Blick: die Beziehung zum Leben. Sterben und Tod überschattet das Leben nicht mehr als unergründliches und von Gott trennendes Geschick. Sondern der Mensch lebt vor Gott in der Gewissheit, dass die zerstörerische Macht des Todes von Gott selbst überwunden worden ist und das Leben das große Ziel ist.

Jägerinnen und Jäger besinnen sich in der Hubertustradition also darauf, dass ihr Handwerk vor Gottes Willen, dem Leben, auf dem Prüfstand steht. Der Schuss, der dem Leben eines Mitgeschöpfes unwiderruflich ein Ende setzt, wird ethisch beleuchtet. Es stellt sich die Frage, ob sich in diesem Schuss Beziehung zu Gottes Willen ausdrückt oder nicht.

Tatsächlich stehen Jägerinnen und Jäger als Christinnen und Christen immer vor der Frage, ob sich das Töten vereinbaren lässt mit der schöpferischen Grundhaltung, mit der wir auf dieser Erde in Gottes Auftrag walten und schalten sollen. Im Tod eines Mitgeschöpfes allein wird die Jagd niemals zu ihrem sinnvollen Ziel kommen. Der Tod eines Mitgeschöpfes wird sinnvoll nur, wenn er dem Leben dient. Nur eine Jagd, die für sich in Anspruch nehmen kann, mitgeschöpfliches, verantwortliches Lebenshandeln zu sein, ist dem Christen und der Christin akzeptabel.

Das Waidwerk als zuweilen tödlicher Eingriff in die Natur, wird von wahren Hubertusjüngern immer als schmerzliches, aber doch notwendiges Zurückbleiben hinter der von Gott verheißenen Einheit von Mensch und Tier verstanden werden. Der vom Menschen herbeigeführte Tod eines Mitgeschöpfes muss verantwortlicher Umgang mit der Schöpfung im Sinne des gottgewollten Lebens sein.

Das 5. Gebot „Du sollst nicht töten!“ wendet sich nicht gegen solche Verantwortung. Das 5. Gebot meint den Mord, meint gemeinschaftswidriges und beziehungsloses Töten. Wir haben als Hubertusfreunde Auskunft darüber zu geben, welchen Wert die Jagd für die Gemeinschaft hat, welche Beziehung zum Leben dem Waidwerk zugrunde liegt und was die Jagd vom Mord unterscheidet. Wir wären dann bei dem, was wir – durchaus paradox – Hege mit der Büchse zu nennen pflegen.

Liebe Gemeinde!

Ich meine, die Jagd ist heute notwendig. Sie ist Teil der Bewahrung der Schöpfung. Ein verantwortungsvoller Auftrag an den Menschen, jene Gleichgewichte zu suchen, die durch sein Eingreifen verlorengegangen sind.

Aber die Jagd wird vor dem Hintergrund der göttlichen Verheißung des Friedens der Schöpfung immer etwas Vorletztes bleiben. Sie wird niemals Selbstzweck oder in einem platten Sinne „lustige“ Jagd sein können. Sie ist in einer Mitwelt, die durch den oft rücksichtslosen Primat des Menschen weitestgehend in Umwelt umgewandelt wurde, Handwerk einer verantwortlichen Ebenbildlichkeit.

Christlich jagt man nicht als Räuber, der sich bedenken- und beziehungslos aneignet, was ihm an Mitschöpfung zufällig vor die Büchse oder Flinte kommt. Beziehungslose, leichtfertige Ausbeutung der Schöpfung wäre im Lichte des liebenden Schöpfers nichts anderes, als eben jene Beziehungslosigkeit, aus der Hubertus von Gott zurückgerufen und von der er geheilt wird.

Die Frage nach der Beziehung zur Mitschöpfung stellt sich freilich heute dringend für sämtliches Tun und Unterlassen des Menschen. Jägerinnen und Jäger dürfen in den Hubertusgottesdiensten für sich in Anspruch nehmen, beispielhaft zu denken und zu handeln. Sie brauchen sich nicht zu verstecken. Aber sie sollten sehr darauf achten, dass sie das Gefühl für die Verantwortung, das ihr Tun begleiten muss, ebenso pflegen wie ihre Waffen und Hunde.

Sie pflegen damit nämlich ihre Beziehung zum Grund allen Seins. Sie fragen, wie und wo, in welcher Gestalt und Form beziehungsvolles Leben möglich und wichtig ist.

Sie werden darin sogar Gemeinde Jesu Christi und sie verändern damit gesellschaftliche Wirklichkeit, wenn sie sich um ein Waidwerk bemühen, das von der Hoffnung getragen wird, dass der Tod dem Leben unterzuordnen ist.

Liebe Gemeinde!

Wir alle miteinander verwandeln das Gesicht der Welt, wenn wir uns in der Einsicht üben, dass das Tier Mitgeschöpf ist, mit einem Antlitz, mit einem Körper, mit einem Wesen von Gott geschaffen.

Als Menschen brauchen wir diese erkennbaren, verstehbaren und durch unser Handeln bezeugten Beziehungen, wenn unser Leben nicht noch mehr leiden soll unter nichtigem Streben nach leeren Zielen.

Ich sage deshalb: Gott sei Dank, dass uns Hubertus lebendig vor Augen geblieben ist. Denn – und das sagt schon der Prophet Jesaja –: Ein Volk ohne Gott wird wüst und leer. Amen

Und Gottes Frieden, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre unser Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

 



[1] Nach einer Predigt von Pastor Rolf Adler, Lüchow; im Internet unter: http://www.sankt-hubertus.de/pred2000.htm.