Weihnachtsartikel
2003 für die LN
Alle Jahre wieder werden wir zu Weihnachten von neuem angesteckt von der Sehnsucht nach so etwas wie einem anderen, menschlicheren Leben angesichts der Friedlosigkeit unserer Zeit. Wir – noch immer mit unseren großen, unerfüllten Wünschen nach Liebe, Aufmerksamkeit, Frieden. Und wieder mit der Frage, ob unsere Geschenke denn auch hergeben, was sie versprechen; ob Weihnachten vielleicht diesmal etwas von dem einlöst, was wir erwarten.
Wir
– bis vor kurzem noch beschäftigt mit Vorbereitungen, Laufereien, Hetze. Wir –
angelockt und auf sonderbare Weise zusammengebracht durch das Kind, das wir
feiern. Merkwürdig: Seine Ausstrahlung reicht weiter als unsere Herzen und
Hände. Damals hat es die Hirten angelockt, das arme Volk und die Weisen von
weither. Und heute? Vielleicht den Fremdling in der eigenen Familie; den
unbekannten Nächsten neben mir; vielleicht die ganz Fernen, die uns nahe
kommen, wenn uns ihr Elend zu Herzen geht ... Offene Grenzen, ein weiter
Horizont! Als ob da etwas wäre, was allen gilt und allen Hoffnung macht und
darum alle verbindet.
„Es
ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen“, heißt es im
Titusbrief. Da ist etwas, was uns bewegt. Es ist nur so schwer, es in Worte zu
fassen. Manchmal sind wir darauf angewiesen, dass ein anderer für uns
ausspricht, was uns im Innersten bewegt. So wie Paulus das getan hat für die
ersten Christen in seinem Brief an Titus.
Nun
ist also die Freundlichkeit Gottes erschienen, mit der unser Leben und unser
Heil steht und fällt. Allen Menschen ist sie zugewandt. Was will sie erreichen?
Sie möchte uns bewegen, unsere Gottferne abzuwerfen und alles, was nur Gier,
nur weltlich-vergängliche Freude ist. Sie möchte erreichen, dass wir mit klarem
Geist, bereitwillig und aufmerksam, in Gerechtigkeit und im Glauben leben,
solange wir in dieser Welt sind. Denn auf uns wartet eine große Zukunft: Dass
Gott in seinem Glanz und in seiner Größe sichtbar hervortritt, dass Christus
hervortritt, der unser Leben gerettet hat.
„Er
hat sich selbst geopfert an unserer Statt, um uns von allem Unrecht frei zu machen,
um uns zu reinigen und zu läutern und Menschen aus uns zu machen, die ihm zugewandt
leben und willens sind, das Rechte zu tun.“ Diese Worte des Paulus sind alt -
und doch schön und unverlierbar, weil sie an eine tiefe Sehnsucht in uns allen
rühren: Ein neues Leben im Licht der Liebe, der Zartheit, der Aufmerksamkeit
und des Friedens. Frei von aller Angst, allem Hass, aller Schuld und aller
Gier, die uns zu unruhigen Menschen machen.
Da
wären wir also wieder – Sie und ich und alle anderen an Weihnachten. Einander
fremd und doch zusammengebracht durch den, der unsere Begrenztheit öffnet und
all unsere Schuld überwindet. Wollen wir es nicht miteinander versuchen:
Kontakt aufnehmen, uns aufeinander einlassen; bescheidene, aber richtige
Schritte tun in Richtung Frieden, in Richtung Weihnachten?
Wie
wäre es, wenn wir mit dem, was wir an Weihnachten miteinander und füreinander
tun, so etwas wie ein Anfang wären, ein Versprechen füreinander – wie jene
Jugendlichen aus ganz Europa, die wir auf Einladung der Brüder von Taizé zum
Jahreswechsel im Großraum Hamburg und auch bei uns erwarten?
Wir
– ein Anfang von Wärme, Nähe, Frieden, der allen wohltut? Wir – ein beginnender
Aufstand gegen die Banalität unseres durchschnittlichen Lebens, gegen die
Unempfindlichkeit der Sinne, gegen die Gnadenlosigkeit mancher Herzen und
Zustände? Wir – ein Versprechen, dass wir noch nicht am Ende sind, mit
niemandem, auch nicht mit uns selber? Ja, wir – am Anfang, wie ein Kind, wie
dieses Kind Jesus. Empfindlich und verletzbar, doch nicht wegzuleugnen. Wir –
mit der Chance, erwachsen zu werden, frei und handlungsfähig wie Jesus, der ja
kein Kind blieb, sondern der Mann aus Nazareth wurde.
Das
ist die Hoffnung, an die uns Weihnachten erinnert: Dass eine gute Fortsetzung
findet, was in Bethlehem begonnen hat! Und dass wir diese Fortsetzung sein
könnten! Wir – am Anfang, wenn wir zu teilen bereit sind: unsere Güter – unsere
Freude – unser Leben – die Gnade – Gott. Und das nicht nur am Heiligen Abend,
sondern alle Tage, so heillos sie auch manchmal sein mögen.