L ü b e c k i s c h e

B l ä t t e r


19. Mai 2007          Heft 10          172. Jahrgang         Zeitschrift der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit


Der Kurs Nordelbiens oder: Die Karten müssen neu gemischt werden

Von Altbischof Karl Ludwig Kohlwage

 

Man kann mit Recht fragen, ob es nützt und sinnvoll ist, sich noch einmal in Sachen Umbau der Nordeibischen Kirche zu Wort zu melden. Bischof Wilckens und ich haben im September 2006 kurz vor der Synodenentscheidung interveniert und kritisch auf die eigenartig still vollzogene Veränderung der Motive und Zielsetzung bei der geplanten Neugestal­tung der nordelbischen Leitungsebene hingewiesen. Was anfangs ein Sparprojekt sein sollte (alle müssen sparen, „auch die da oben“, also nur ein Bischof in der Nordelbischen Kirche) wurde gleichsam unter der Hand ein hierarchisches Modell: Auflösung des Bischofskollegiums und Herausstellung eines weisungsbefugten Landesbischofs mit Sitz in Kiel gegenüber zwei untergeordneten Bischöfen mit dem sehr großen Sprengel Nord (Schleswig) und Süd (Hamburg). Der Bischofssitz in Lübeck entfällt. Das Einsparungsmotiv verschwand im Laufe der Überlegungen, dafür wurde eine We­sensänderung der Nordelbischen Kirche an zentraler Stelle vorgenommen.

 

Das ist ein erstaunlicher Vorgang, um dessen einleuchtende Begründung es eigenartig still blieb. Argumentativer Stillstand ist zu beobachten, der aber Mü­digkeit und Verdrossenheit als Aufbruchstimmung zum Ausdruck bringt. Ich habe noch keinen vernommen, der mit Verve und Überzeugungskraft diese tief ein­schneidende Änderung vertritt und ihre unabweisbare Notwendigkeit bezeugt. Eher ist eine gewisse Entschlossenheit der zusammengebissenen Zähne zu er­kennen: wir haben es entschieden, dafür gibt es eine Mehrheit, und nun wird es ge­macht. Das allerdings ist eine riskante Ar­gumentation, denn Kirche „tickt“ anders, um es einmal salopp zu formulieren. Das „Basta“-Prinzip ist nicht ihre Sache. Wer noch die leidenschaftlichen Debatten vor der nordelbischen Vereinigung in Erinne­rung hat, kann über die argumentative Le­thargie und ihr nonchalantes Gegenstück des „Wir werden das schon machen“ nur staunen.

Die Zwangsfusion von Kirchenkrei­sen geht übrigens mit dem gleichen argumentativen Stillstand einher. Historisch gewachsene Einheiten werden aufgelöst und in Großgebilde überführt, in denen die Rolle des auf Nähe, Überschaubarkeit und Vertrautheit angewiesenen Ehrenam­tes völlig neu definiert werden muss. Auch hier scheint das Einsparmotiv zweitrangig geworden zu sein, denn Kirchenkreise ha­ben von sich aus durch Kooperationsmo­delle besonders im Verwaltungsbereich ihren Willen zu sparen verbindlich bekun­det, allerdings unter Wahrung ihrer Iden­tität. Der Gesetzgeber jedoch ist darüber hinweggegangen: es ist beschlossen, es gibt eine Mehrheit, und es wird gemacht.

Man kann ins Sinnieren kommen: Wa­rum muss es so laufen? Welche Dynamik setzt sich hier durch? Hat sich ein Prozess verselbständigt in der Weise, dass die beteiligten Akteure nur noch sich selbst und ihren Veränderungswillen im Blick haben?

Im Falle der Großkirchenkreise gibt es ein rationales Argument: Nämlich Ein­heiten zu schaffen, die ein so großes Finanzvolumen in sich vereinigen, dass die Last der nordelbischen Werke und Dienste besser und widerstandsfreier auf sie abge­wälzt werden kann. Der Preis dafür jedoch ist hoch.


Die Devise, die die Veränderungen begleitet (begründen kann sie sie nicht), lautet: Wir müssen näher an die Menschen heran! Aber wie soll das geschehen, wenn die kirchlichen Strukturen immer weit­räumiger und unübersichtlicher werden: Nähe durch Entfernung? In Lübeck sind Unmut und Unverständnis besonders aus­geprägt, weil sich nur wenige mit dieser Dialektik anfreunden können.

Auf eine Prognose möchte ich fast eine Wette eingehen: die beiden demnächst zu installierenden Regionalbischöfe oder -bischöfinnen in Hamburg und Schleswig bekommen so umfangreiche Regionen zugewiesen von Harburg bis Lübeck und Sylt bis Stockelsdorf, dass es nicht lange dauern wird, bis sich die Erkenntnis durch­setzt, nämlich um der beschworenen und notwendigen Nähe zum Menschen willen: Diese Sprengel sind für ein bischöfliches Amt, das auf eine sinnvolle Ausübung sei­ner Aufgaben und auf eine wahrnehmbare Präsenz Wert legt, zu groß, eine Neuaufteilung oder eine Stellvertreterregelung, jedenfalls eine Ämtervermehrung muss dann in Angriff genommen werden. Das wäre verständlich, denn das Verhältnis des Bischofs zu denen, die er visitieren soll, muss so beschaffen sein, dass diese Arbeit zu schaffen ist.

Der Eindruck lässt sich leider nicht aus der Welt räumen, dass die Nordelbische Kirche gegenwärtig ihre Selbstverwandlung argumentativ nicht sehr eindrucks­voll darstellt bzw. nicht unter Kontrolle hat. „Augen zu und durch“ ist eine mögli­che Verhaltensweise, aber ein neuer Um­stand verbietet sie. Und deswegen mag es noch einmal angehen, dass sich eine Stim­me von außen meldet.

Der neue Umstand heißt Nordkirche, das Projekt einer Vereinigung der drei Ostseekirchen Nordelbien, Mecklenburg und Pommern. Verbindungen partnerschaftlicher und auch institutioneller Art zwischen diesen Kirchen gibt es seit vie­len Jahren. Dieses Projekt ist sinnvoll, auch unter dem Aspekt der Förderung der deutschen Einheit und des Gemeindeauf­baus nach den verheerenden Einbrüchen durch den Staatsatheismus der DDR. Die zeitlichen Vorstellungen, die im Zusammenhang mit der Realisierung einer Nordkirche zu vernehmen sind, klingen etwas abenteuerlich. Das Jahr 2010 wird genannt, die Nordelbische Kirche hat 40 Jahre Vor- und Nachkriegszeit gebraucht, bis sie zu Stand und Wesen kam. So lange muss es mit einer Nordkirche nicht wäh­ren, aber in drei Jahren wird es sie mit Sicherheit nicht geben.

Die zentrale Frage lautet: In welcher Gestalt und mit welchen Vorgaben gehen diese Kirchen in die Sondierungsgesprä­che für eine mögliche Fusion? Arbeitsöko­nomisch ist es schon bemerkenswert: Die Nordelbische Kirche ist eine Baustelle, was die Kirchenkreisstruktur und vor al­lem die Leitungsebene angeht. Sie ist da­bei, ein hierarchisches Bischofsamt einzu­führen, mit dem es keinerlei Erfahrungen gibt und das seinen Praxistest noch nicht bestanden hat. Die neuen Kirchenkreise brauchen kompetente Begleitung und die ganze Aufmerksamkeit der Nordelbischen Kirche. Und nun soll auf dieser Baustelle eine neue eingerichtet werden mit noch viel größeren und weitreichenderen Herausforderungen. Wie soll das funktionie­ren? Sollen die beiden Partner, vor allem Mecklenburg, aufgefordert werden, sich in das neue Bischofsmodell einzufügen mit dem Landesbischof und dem Kirchenamt in Kieler Randlage? Die Chancen, dass das gelingt, dürften nicht allzu groß sein. Wenn die Nordkirche ernsthaft ge­wollt wird - und das wäre wünschenswert, kann die Nordelbische Kirche schwerlich mit diesen Vorgaben die Verhandlungen aufnehmen. Es muss genau überlegt wer­den, unter welchen Voraussetzungen eine Einheit und Struktur ganz neuer Art sinn­voll ausgehandelt werden kann. Vergessen wir nicht: Die Verfassungsänderung für die jetzt geplanten Unternehmungen ist noch nicht vollzogen, und schon soll eine weitere, grundlegend neue Verfassung in Angriff genommen werden, die für eine Fusion der 3 Kirchen eine unabdingbare Voraussetzung ist.

Da volkstümliche Bilder verschiede­ner Art im nordelbischen Reformprozess hier und dort begegnen, greife ich ins Re­pertoire der Skatspieler: Die Karten müs­sen neu gemischt werden, denn es beginnt ein neues Spiel.

Das Nordkirchenprojekt ist nur dann sinnvoll, wenn es erste Priorität bekommt und nicht als ein mehr spielerischer Ne­bengedanke behandelt wird. Darüber muss Klarheit geschaffen werden. Wird diese Kirchen-Vereinigung an der Ost­see ernsthaft gewollt, müsste ähnlich wie bei der nordelbischen Kirchwerdung ein „Nordkirchen-Rat“ eingesetzt werden aus gleichberechtigten Repräsentanten der 3 Kirchen, der die Aufgabe hätte, das Fundament einer neuen Kirchenverfassung zu erarbeiten, also im Neudeutsch die „Essentials“ dessen, was man will und braucht. Dabei sind 3 verschiedene Verfassungen und 3 verschiedene Bischofstraditionen zu einem neuen Ganzen zusammenzufüh­ren. Das Nichtverhandelbare kann sich in dieser Situation - siehe wiederum die Verhandlungen vor Nordelbien - nur auf die Lehrgrundlagen beziehen, alles an­dere steht zur Disposition. Der Sitz des Landesbischofs, wenn es denn einen sol­chen Bischof geben soll, muss in diesen Verhandlungen genauso in Frage gestellt werden wie der Sitz und die Aufgaben der zentralen Verwaltung, also des „Nordkir­chenamtes“. Eine Vorfestlegung auf Kiel durch Nordelbien ist nur sehr schwer vor­stellbar, Schwerin oder Lübeck böten sich als natürliche Mittelpunkte viel überzeugender an.

Im Blick auf die Personen im bischöf­lichen Amt sind schon jetzt Übergangslö­sungen zu erwägen. Im Herbst nächsten Jahres werden 2 nordelbische Bischofsäm­ter vakant. In der Nordkirchenperspektive muss dann die Frage geprüft werden, ob und gegebenenfalls wie die dann noch im Amt befindlichen 3 Leitungspersonen das Nordkirchen-Bischofsamt wahrnehmen können. Nordelbische Neuwahlen können m. E. nicht einfach in die Wege geleitet werden, ohne - zusammen mit den Part­nern - intensiv diese Frage zu erörtern und zu entscheiden.

Also: Im Zeichen der Nordkirche ist ein umfassender Neuanfang notwendig. „Die Karten müssen neu gemischt wer­den.“