Vergessene Kinder

 

Liebe Gemeinde!

 

In diesen Advents- und Weihnachtstagen rüsten wir uns wieder auf den Geburtstag des Christkindes. Jesus, der Heiland der Welt, wird geboren zu Bethlehem im Heiligen Land, das immer wieder unter politischen Spannungen zu leiden hat. Das war damals schon so und ist es heute unter veränderten Bedingungen wieder.

Die Monatssprüche für Dezember 2006 und Januar 2007 haben mich darauf gebracht, nach den Ursachen dieser Spannungen zu fragen und nach Wegen zu ihrer Überwindung zu suchen. Für Dezember heißt der Monatsspruch: „Ihr werdet Wasser schöpfen voll Freude aus den Quellen des Heils“ (Jesaja 12,3 – Einheitsübersetzung) und für Januar: „Du bist ein Gott, der mich sieht“ (1. Mose 16,13b – Lutherübersetzung).

Im Heiligen Land wird um das Wasser gestritten und um das Ansehen Gottes. Beides sind elementare Grundlagen menschlichen Lebens: Werden wir geachtet und geliebt als legitime Kinder Gottes? Und: Haben wir genug zum Leben, teilen wir das uns anvertraute tägliche Wasser und Brot?

Wir vergessen leicht: Nicht nur Abraham bekam eine große Verheißung - auch Hagar, die ägyptische Magd seiner Frau Sara: „Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können ... Du wist einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der Herr hat dein Elend erhört. Er wird ein wilder Mensch sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird wohnen all seinen Brüdern zum Trotz“ (1. Mose 16,10-12).

Der große Konflikt zwischen Judentum, Christentum und Islam hat Namen von Söhnen: Ismael und Isaak – später Jesus. Genau genommen hat Vater Abraham noch mehr Söhne gehabt, nämlich sechs weitere von seiner zweiten Frau Ketura, wie Hagar eine Ägypterin: Simran und Jokschan, Medan und Midian, Jischbak und Schuach (1. Mose 25,1-2). Geerbt aber hat nur Isaak: „Den Söhnen, die er von den Nebenfrauen hatte, gab er Geschenke und schickte sie noch zu Lebzeiten fort von seinem Sohn Isaak, nach Osten hin ins Morgenland“ (1. Mose 25,6). Einer freilich kehrte wieder um und war da, als sein Vater Abraham beerdigt werden musste: Ismael. „Und es begruben ihn seine Söhne Isaak und Ismael in der Höhle von Machpela ...“ (1. Mose 25,9). Noch heute gibt es Streit zwischen Juden und Palästinensern um das Grab des Patriarchen Abraham in der Nähe von Hebron.

Wieviele Söhne hatte Vater Abraham? Auf diese Frage habe ich selten eine richtige Antwort erhalten. Es waren acht. Und es ist für uns alle nicht gut, wenn Mütter und Väter, Söhne und Töchter, überhaupt Menschen vertrieben, vergessen, nicht weiter beachtet werden wie zu allen Zeiten in der Geschichte der Menschheit. Gott will das nicht: Er sieht, er rettet, er schützt und bewahrt. Gott rettet Hagar zweimal am „Brunnen des Lebendigen, der mich sieht“ (1. Mose 16,14 und 21,19). Und wir sollen auch so sehen und achtgeben lernen wie Gott und das Lebensrecht der verschiedenen Söhne und Töchter Gottes anerkennen.

Frieden zu schaffen in der Welt hat damit zu tun, dem anderen das Wasser zu lassen, die Lebensgrundlage, und nicht daran zu gehen, „dem anderen das Wasser abzugraben“. Streitfragen unter den Menschen von großer politischer Bedeutung sind oft Wasserfragen, Fragen des Zugangs zu gesundem Trinkwasser und auch Fragen des Zugangs zu Häfen, um Handel und Wandel treiben zu können.

Sind wir bereit, das Wasser, den Zugang zum Wasser zu teilen? Werden wir auch im übertragenen Sinne gemeinsam Wasser schöpfen aus den Quellen des Heils? Jesus, auf dessen Ankunft als Retter wir warten in der Adventszeit und dessen Geburt wir wieder feiern in den zehn heiligen Nächten vom 24. Dezember an hat sich selber so verstanden: als Brunnen des Heils. Zur Samaritanerin sagt er über das Wasser aus dem Brunnen des Erzvaters Jakob, an dem sie sich trafen: „Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt“ (Johannes 4,13-14).

Weihnachten heißt: Wir dürfen schöpfen aus dem Brunnen des Heils und wir dürfen gewiss sein, dass Gott uns sieht. Eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit wünscht Ihnen

 

Ihr Propst Peter Godzik