Von Peter Godzik, Propst in Ratzeburg
Weihnachten – für uns im Norden ein Fest inmitten der Dunkelheit. Das liegt an der Jahreszeit und am Wetter. Die Sonne steht in diesen Tagen tief und immer nur für kurze Zeit am Himmel, die Nächte sind lang. Die Gottesdienstbesucher am Heiligen Abend werden in den Kirchen von Lichtschein empfangen. Kerzen leuchten zu Weihnachten, um der großen Dunkelheit etwas entgegen zu setzen. Zu Hause wartet bei den meisten der Tannenbaum. Seine Lichter werden das Zimmer hell und warm glänzen lassen, so freundlich wie sonst kaum im Jahr. Sie leuchten in die Dunkelheit dieser Tage hinein. Sie bilden Inseln des Lichts und der Geborgenheit in unseren Wohnungen. Sie stehen an gegen die Düsternis ringsum. Wir zünden Lichter an, um uns trotz der Dunkelheit nicht verloren vorzukommen.
Wir feiern Weihnachten mitten in großer Dunkelheit nicht nur um uns herum, sondern auch in uns. Die Dunkelheit versucht, uns in ihren Bann zu schlagen. Sie will sich unserer Seele bemächtigen. Die Finsternis lässt uns klagen: Wie viel Lieblosigkeit ist doch in unserer Welt; wie viel Kälte, Rohheit und Gewalt; wie viel Elend, Armut und Heimatlosigkeit. Um solcher Finsternis willen wird Weihnachten. Nicht, um den Sieg der Dunkelheit zu feiern, sondern um Licht in sie zu bringen. Weihnachten widerspricht dem Eindruck, dass die Finsternis das wahre Bild unserer Welt zeigt. Weihnachten lässt das Ende ihrer Herrschaft in den Blick kommen. Weihnachten hilft auch, sich ihrer bedrohlichen Anziehungskraft zu entziehen. Wir werden gefragt: Was behält bei dir die Oberhand, wem gibst du die Stimme, wem dein Herz: dem Hellen oder dem Dunklen?
Zu Weihnachten wiegen Enttäuschungen besonders schwer. So manche und mancher ist den Tränen nahe und versucht mühsam, sie hinunterzuschlucken. So groß die Hoffnung auf ein „gesegnetes Fest“ auch sein mag, es wird als Bedrohung empfunden, die Wirklichkeit könnte der Sehnsucht nicht gewachsen sein. Ausgerechnet Weihnachten wird dann selbst zur Ursache für eine Verfinsterung des Sinnes, für ein verdunkeltes Gemüt, für eine tiefe Traurigkeit. Während sich die einen ungetrübt freuen an Liedern, Kerzenschimmer und Gänsebraten, fühlen sich andere bedroht und eingeschnürt von umgebender und inwendiger Dunkelheit. Aber gerade für sie soll Weihnachten ein Fest der Freude und Aufhellung werden: „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt“ (EG 16,5).
Von den Hirten auf den dunklen Feldern von Bethlehem wird erzählt: Die Klarheit des Herrn umleuchtete sie. Das ist Weihnachten. Gegen die Umdüsterung nach innen und die Verzweiflung nach außen leuchtet wie ein Komet die Weihnachtsbotschaft auf: „Euch ist heute der Heiland geboren!“ Das Licht ist in die Welt gekommen. Was verkorkst ist an unserer Art, das Fest zu feiern, soll uns nicht länger den Blick verschleiern für diese Nachricht. Was an Hass und Krieg ist in der Welt, auch an Heiligabend, gilt uns nicht mehr als Verdunkelung aller Aussichten. Was wir an Glanz und Glitzer aufbringen in unseren Einkaufsstraßen, um künstlich Helligkeit zu schaffen – all das verblasst und wird in den Schatten gestellt. Das wahre Licht ist in die Welt gekommen in einem Kind. Das Leben selbst hat das Licht der Welt erblickt. Und wer dies Neugeborene in der Krippe ansieht, dem kann klar werden: Du sollst selber neu geboren werden. Du kannst unschuldig und unbeschwert wie ein Kind wieder von vorn anfangen. Du sollst nicht länger glauben, die ganze Last der Finsternis läge auf deinem Rücken. Du kannst das Licht der Welt erblicken. Weihnachten schafft Gott die Welt neu, weil er sie liebt.