Weihnachten ist die Zeit der Geschenke. Wir freuen uns über so manch
erfüllten Weihnachtswunsch, werden überrascht von Unvorhergesehenem, sind
verwundert über Besonderheiten, die uns rätselhaft erscheinen und vielleicht auch
nachdenklich stimmen. Geschenke haben es an sich, dass wir sie nicht allein
bestimmen können, sondern mit ihnen immer überrascht werden von einer
besonderen Geste des Gebers oder der Geberin.
Das eigentliche Weihnachtsgeschenk ist das Kind in der Krippe: Es „liegt
dort elend, nackt und bloß in einem Krippelein“ - umgeben von Ochs und Esel,
von Hirten und Königen, die gekommen sind, um anzubeten. Was hat Gott den
Eltern dieses Kindes, was hat er uns allen mit diesem Kind geschenkt? Können
wir es aus seiner Verpackung, aus seinen Windeln, herausnehmen und näher
zusehen, was da enthalten ist in all den unscheinbaren Hüllen?
Der Apostel Paulus schreibt: "In Christus liegen verborgen alle
Schätze der Weisheit und der Erkenntnis" (Kol 2,3). Vielleicht konnte er
das sagen, weil er nie dieses Kind in Windeln gewickelt in einer Krippe hat
liegen sehen. Er ist dem Christus nicht begegnet in seiner irdischen Gestalt,
nicht dem Kind, nicht dem Heranwachsenden, nicht dem erwachsenen Mann, der wie
viele Wanderprediger seiner Zeit herumzog und vom Reiche Gottes predigte und
Wunder vollbrachte. In ihm, diesem Zimmermannssohn aus Nazareth, sollten
verborgen sein alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis? Wer kann das ahnen
und wissen, wenn er nur das vor Augen hat, was man anfassen, sehen, hören,
schmecken, riechen kann?
Von den Tieren, von Ochs und Esel, wird berichtet, sie hätten instinktiv
erfasst, um was es damals ging: "Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein
Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt's nicht, und mein Volk
versteht's nicht" (Jesaja 1,3). Woher sollen also die Menschen wissen, was
sich da in der Krippe verbirgt?
Die Hirten, so wird uns berichtet, waren die ersten, die nach Bethlehem
gingen, um zu sehen, was dort geschehen war. Aber woher wussten sie von dieser
Geschichte und wer hatte ihnen offenbart, welches Wunder da geschehen war? Die
Hirten haben das Geschenk dieses Kindes in der Krippe nur auspacken können mit
Hilfe der Engel. Die haben ihnen nämlich gesagt und verkündet, welcher Schatz
da verborgen ist "in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend".
Wie sollen wir erwachsenen Menschen des 21. Jahrhunderts ohne Engelhilfe
verstehen, welche Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen liegen in
Christus?
So ganz ohne Engelhilfe sind wir nicht. In jedem Gottesdienst erklingt
der Lobgesang der Engel "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden
bei den Menschen seines Wohlgefallens". Und die Gläubigen brechen auf wie
die Hirten nach Bethlehem zum „Haus des Brotes“, indem sie am Altar Brot und
Wein miteinander teilen. Auch wir könnten erfassen, welcher Schatz verborgen
ist in Christus, wenn wir es machten wie die Hirten: hingehen auf das Feld der
Engelerfahrung - also in den Gottesdienst - und den Worten glauben, die zu uns
gesagt werden. Und dann müssen wir nur noch hingehen und schmecken und sehen
"die Geschichte, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan
hat".
Neben der Hirtenerfahrung, dem sinnlichen Anschauen und kindlich-naiven
Anbeten in Bethlehem, gibt es noch die Dreikönigserfahrung, das Sich-Aufmachen
auf den Weg, das Erforschen der Himmelserscheinungen, das Studium der Heiligen
Schrift.
Ein geheimnisvoller Satz aus dem Buch des Propheten Micha (5,1) hat die
Weisen aus dem Morgenland nach Bethlehem geführt, dort fanden sie "das
Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und
taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe."
Dreikönigserfahrung - das könnten wir ausweiten auf das Studium der
ganzen Heiligen Schrift, wie es zum Beispiel Luther sein Leben lang betrieben
hat. Er hat den großen Reichtum des Alten Testaments mit seinen
geschichtlichen, poetischen und prophetischen Büchern zusammen mit seinen
Freunden der deutschen Sprache erschlossen und dabei mit dem Evangelisten Matthäus
und dem Apostel Paulus noch einmal entdeckt, dass Christus das Geheimnis der
Schrift ist: In ihm liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis;
nur über ihn lassen sich viele bis dahin dunkle Stellen der Heiligen Schrift
verstehen. Und wer wie Luther mit dieser Dreikönigserfahrung den Weg zum
Verstehen der Bibel sich erschlossen hat, der wird wie die Weisen aus dem
Morgenland das Bedürfnis spüren, sich aufzumachen zu diesem Jesus und ihm die
Schätze des eigenen Lebens zu Füßen zu legen.
Freilich, wer einen wachen und kritischen Verstand hat, dem steht nach
der Hirten- und der Dreikönigserfahrung noch die Pauluserfahrung bevor. Denn
Paulus ist der Satz "in Christus liegen verborgen alle Schätze der
Weisheit und der Erkenntnis" nicht - wie etwa den meisten von uns - in die
Wiege gelegt worden. Er hat die Gemeinde Jesu, die sich allmählich löste von
einem allzu strengen Gesetzesverständnis und sich öffnete für die universale
Liebe und Gnade Gottes, bedrängt und verfolgt.
Wie sollen wir die Pauluserfahrung kennzeichnen, die ihn nach langen
Irrungen und Wirrungen endlich zu der Erkenntnis brachte, dass in Christus
verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis? Es ist ein
Schnauben und Drohen, ein Besserwissen und Missachten des Christus, bis einer
am Boden liegt und nichts mehr sehen und nichts mehr zu sich nehmen kann. In
der Tiefe solchen blinden Eifers gegen die Wahrheit Gottes mag sich dann
zunächst die Frage einstellen "Herr, wer bist du?" und am Ende die
überwältigende Erfahrung von Licht, Klarheit und Güte stehen, die einen Mann
wie Paulus dazu gebracht hat, sein ganzes Leben umzukrempeln.
Der instinktive Weg, das Gottesgeschenk in Christus zu erspüren, wie
ihn uns die belebte Natur in den Tieren Ochs und Esel gezeigt hat, ist uns
versperrt. Wir können uns nur auf menschliche Weise dem Weihnachtsgeschehen
nähern: kindlich-einfach wie die Hirten, königlich-forschend wie die
Sterndeuter und existentiell-betroffen wie der Apostel Paulus. Im Grunde genommen
ist es nicht wichtig, auf welchem Wege wir zu der alles entscheidenden
Erkenntnis kommen, dass in Christus verborgen liegen alle Schätze der Weisheit
und Erkenntnis. Auch unsere vielfältigen Weihnachtserfahrungen im Auspacken von
Geschenken haben ja eine ähnliche Bandbreite und Tiefe: Wir haben kindlich-naiv
ausgepackt und uns gefreut; wir sind den Sachen eher forschend auf den Grund
gegangen; und wir haben unter Tränen und Leid lernen müssen, was das wirklich
Wichtige in unserem Leben ist.
Nur beschützt werden sollen wir vor Mogelpackungen, vor Betrug, vor
falschen Versprechungen und leeren Worten - so sagt es uns jedenfalls der
Apostel Paulus. Weihnachten ist in unseren Tagen schon gefährlich nahe gekommen
dem Macht- und Konsumstreben der modernen materialistischen Welt. Wir haben es
nicht leicht, uns den Verführungskünsten zu entziehen. Aber im Grunde unseres
Herzens wissen wir, dass es an Weihnachten um "die Fülle der Gottheit
leibhaftig" geht. Gott liebt uns wirklich mit einem Kind, mit seinem Sohn
Jesus Christus. Wir müssen dieses Geschenk nur annehmen, auspacken, ansehen,
in der Tiefe verstehen und uns davon verwandeln lassen.
Propst Peter Godzik, Ratzeburg