Fürchte dich nicht!

 

Von Propst Peter Godzik, Ratzeburg

 

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! (Jesaja 43,1)

 

Irgendwohin zu gehören, ganz angenommen und anerkannt zu sein, das ist wohl einer der heimlichen Wünsche des autonomen und automobilen Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Wohl zu keiner anderen Zeit haben die Menschen zu Recht befürchtet, als bloße Nummer behandelt zu werden. Zu Recht erleben es viele Menschen als Kränkung, wenn sich schon nach kurzer Zeit des Ruhestandes in der alten Firma niemand mehr an ihren Namen erinnert. Der Wunsch, einen Namen zu haben, unverwechselbar zu sein, sein besonderer Mensch zu sein, treibt besonders junge Leute in Extremsportarten oder an exotische Ferienorte, die möglichst noch nicht vom Massentourismus erschlossen worden sind.

In ihre Sehnsucht hinein, irgendwohin zu gehören, wieder einen Namen zu haben, hören die Israeliten dieses Jesajawort. Denn die Babylonier haben sie im 6. Jahrhundert vor Christus aus der Heimat verschleppt. In der babylonischen Verbannung fühlen sie sich wie verlassene Kinder ihres Gottes. Israel hat in der Verbannung nur wenige Jahrzehnte gebraucht, um beinahe ganz zu vergessen, wer es eigentlich ist und welchem Gott zu vertrauen sich lohnt. Ein Teil der Verschleppten ist bereit, sich anzupassen an die babylonischen Verhältnisse und die dort herrschenden Sitten und Gebräuche anzunehmen. Aber auch in der Fremde, in der Entwurzelung bleibt Israel nicht allein. Der anscheinend ferne und fremdgewordene Gott lässt wieder von sich hören und bestätigt ganz unerwartet seine Treue zu Israel.

So mag es ein guter kirchlicher Brauch geworden sein, dass dieses Heilswort häufig bei der Taufe eines Kindes zu hören ist. Die Familien, die sich für ihr Neugeborenes die Taufe wünschen, haben oft genug lange nichts mehr von Gott gehört. Inmitten ihres mit Terminen und Verpflichtungen angefüllten Alltags ist ihnen Gott fremd und fern geworden. Der Kontakt ist abgerissen oder wurde nur mühselig aufrechterhalten. Bei der Taufe kommt er, der fremdgewordene Gott, den Menschen wieder ganz nahe und spricht das erlösende Wort. Bedingungslos nimmt er alle Angst hinweg. Er schenkt dem bei seinem Namen Gerufenen Würde. Sein Ruf hebt die Schranke der Fremdheit auf. „Ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ Gott ruft, und wer ihn hört, der findet auch heute bei ihm Heimat und Nähe und Geborgenheit. Die beruhigende Erfahrung der Eltern eines Neugeborenen, dass Gott den Namen ihres Kindes kennt, gilt allen Menschen, die sein Wort hören können. Es bleibt eine schöne, eine heilende Erfahrung, wenn sich jemand meines Namens erinnert und mich mit meinem Namen ruft. Der Glaube weiß, dass Gott uns ruft, und wer ihn hört, der findet bei ihm Geborgenheit.