Altgewordene Schönheit - neu entdeckt

Von Propst PETER GODZIK, Ratzeburg

"Das waren noch Zeiten", sagen wir meistens, wenn wir Fotos aus unserer Jugendzeit betrachten. Lauter fröhliche Menschen um uns her, und die Welt lag noch vor uns. Jetzt sind wir altgeworden und manchmal auch schon ein wenig müde. Der Glanz vergangener Zeiten ist vorüber.
"Das waren noch Zeiten", werden viele von Ihnen denken, wenn Sie den Predigttext für den heutigen Sonntag in der Bibel nachlesen: Apostelgeschichte 2, 41-47. In der Anfangszeit der Kirche geschahen noch Zeichen und Wunder: Menschen fanden zum Glauben, waren einmütig beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie feierten fröhliche Gottesdienste und besuchten sich gegenseitig in den Häusern. Die christlichen Gemeinden wuchsen, lobten Gott von ganzem Herzen und fanden Wohlwollen beim Volk.
Heutzutage scheint beinahe alles ins Gegenteil verkehrt zu sein: Die Mitgliederzahlen schrumpfen, wir können kaum noch für das gemeinsame Eigentum sorgen und unserer diakonischen Verantwortung gerecht werden. Die öffentliche Meinung bläst uns ins Gesicht und die Stimmung untereinander wird angesichts der angekündigten Sparrunden immer dunkler und trüber. Was sollen wir tun? Den Kopf hängen lassen, von früheren Zeiten schwärmen und in die allgemeinen Klagelieder über den Wandel der Zeit einstimmen?
Nein, die Apostelgeschichte malt uns das frische Bild des Kirchenfrühlings nicht vor Augen, um uns zu entmutigen. Sie möchte uns an den großen Schwung des Anfangs erinnern, um wieder neue Kräfte zu wecken und den Blick nach vorn zu richten. So könnte es sein mit dir, christliche Gemeinde, das hast du schon alles geschafft in dieser Welt. Mit Gottes Hilfe hast du Zeichen gesetzt, Verhältnisse geändert, Geschichte geprägt. Noch heute finden Menschen Heimat im Glauben, lassen sich ihre verletzten Seelen heilen in Gebet und Gemeinschaft. Noch heute gibt es diese stille Freude, wenn wir im Hören auf Gottes Wort und im Empfangen seines Sakraments das Elementare unseres Lebens entdecken. Mag die Welt auf äußere Zahlen und Statistiken schauen (selbst da müssen wir uns nicht verstecken!) - wir vertrauen auf die Wunder innerer Verwandlung, die auch noch täglich geschehen, wenn Menschen sich zurechtbringen lassen, indem sie das Wort, das ihnen gesagt ist zu ihrem Heil, annehmen.
Annehmen können, empfänglich sein - das scheint überhaupt der Schlüssel zum Verstehen göttlicher Kraft im Wandel und Vergehen der Welt zu sein. Machen wir das nicht auch so, wenn wir altgewordene Menschen auf ihre innere Kraft hin anschauen und ansprechen? Schaut, was ihr empfangen habt und was noch immer aus euch strahlt! Wie es weitergeht durch eure Impulse in der nächsten Generation! Die eigenen Kräfte nehmen ab, aber das Neue wächst schon auf mitten unter euch. Schaut nur, wie es wächst und weitergeht! Altgewordene werden wieder jung, wenn man sie an den Zauber des Anfangs erinnert und die Spuren ursprünglicher Kraft auch im Neuen finden läßt.