Der Mechanismus: Substitution

Als letzter der für die Trauerarbeit wichtigen defensiven Mechanismen ist der Mechanismus der Substitution zu nennen. Auch er dient dazu, die Belastung zu bewältigen, die durch den Verlust eines emotional wichtigen Objektes entstanden ist. Das verlorene Liebesobjekt wird ersetzt durch ein anderes, das eine vergleichbare Gratifikation, die aber zumeist unter dem Wert des verlorenen Objektes liegt, bietet. Um eine solche Übertragung zu ermöglichen, muß es jedoch zumeist eine gewisse Ähnlichkeit zu dem verlorenen Objekt aufweisen.

Die Ablösung der libidinösen und aggressiven Bindung von einem verlo­renen Objekt ist, wie S. Freud an einigen Stellen bemerkt, keine leichte Aufgabe, die zudem mit großen seelischen Schmerzen verbunden ist. „Wer das Seelenleben des Menschen kennt, der weiß, daß ihm kaum etwas anderes so schwer wird wie der Verzicht auf einmal gekannte Lust. Eigent­lich können wir auf nichts verzichten, wir vertauschen nur eines mit dem anderen; was ein Verzicht zu sein scheint, ist in Wirklichkeit eine Ersatz­ oder Surrogatbildung.“ Ähnlich pessimistisch äußert er sich 1929 in einem Brief an L. Binswanger: „Man weiß, daß die akute Trauer nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden. Alles was an die Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Es ist die einzige Art, die Liebe fortzusetzen, die man ja nicht aufgeben will.“ Freilich finden sich in „Vergänglichkeit“ wie in „Trauer und Melan­cholie“ auch Äußerungen, die von einem Freiwerden und einer Neuinve­stition der Libido sprechen.

Die Substitution kann auf verschiedene Weise vor sich gehen: (1) Ersatz eines verlorenen Liebesobjektes durch eine andere Person; (2) Ersatz durch eine Tätigkeit, die in besonderer Weise eine Sorge für andere darstellt; (3) Ersatz in neuen Aktivitäten; (4) Ersatz durch orale Gratifikation. Beson­deres Gewicht ist gerade bei dem Bewältigungsmechanismus der Substitution auf die Unterscheidung zwischen der regressiven und der adaptiven Phase zu legen.

(1) Bei Verwitweten, insbesondere dann, wenn sie noch eine gewisse Chance der Wiederverheiratung haben, werden in der regressiven Phase, wie Maddison und Walker beobachteten, der starke Wunsch und auch das aktive Bemühen sichtbar, einen neuen Gatten zu finden. Doch besteht zu diesem Zeitpunkt die Gefahr der Übertragung. Der Hinterbliebene ist in einer so ausgeprägten Weise noch auf das verlorene. Objekt bezogen, daß er einem neuen Ehepartner nicht gerecht werden kann und die Züge des Verstorbenen auf das Substitut überträgt; in der adaptiven Phase erweist sich dies dann als eine unter Umständen schwer behebbare Täuschung. Ein Beispiel dafür wird bei Jackson beschrieben:

„Als Frau T. starb, schien Herr T., der sehr von ihr abhängig war, sehr verloren und desor­ganisiert zu sein. Frau W., eine verwitwete Freundin seiner Frau, füllte dieses emotionale Vakuum, und er übertrug rasch eine Reihe seiner Abhängigkeitsgefühle auf sie. Innerhalb weniger Wochen war er überzeugt, daß er sie liebe. Obwohl starke Unterschiede in Herkunft, Bildung und Temperament bestanden, war er bereit, jede Anpassung zu vollzie­hen, um seine emotionalen Bedürfnisse zu erfüllen. Es schien, als ob jedermann außer Herrn T. selbst den Mechanismus erkannte, der in seiner gefühlsmäßigen Übertragung am Werk war. Freunde versuchten taktvoll, Herrn T. vor einem unweisen Schritt zu warnen, aber er war für ihre Hinweise nicht offen. Er hatte eine fremde, eine von seiner Frau sehr unterschiedene Persönlichkeit mit den Vorstellungen und Gefühlen besetzt, die er gegen­über seiner verstorbenen Frau hatte. Er heiratete die Freundin seiner Frau, nur um rasch herauszufinden, daß seine Vorstellung und die Realität sehr verschieden waren. Die Frau, gegenüber der er eine Haltung der Abhängigkeit eingenommen hatte, entwickelte sich bald zum Diktator, und sein Leben war durch ein unverbrüchliches Band an jemanden gekettet, der aus seinen emotionalen Gefühlen Gewinn gezogen hatte zu einer Zeit, als er offensichtlich zu hilflos war, seine eigenen Gefühle zu verstehen.“

Solche Übertragungsphänomene finden sich in der regressiven Phase viel­fach und richten sich oft auch, wie unten noch zu zeigen ist, auf Ärzte und Pfarrer.

Von einer Variante solcher Substitution berichtete ein Pfarrer in einem der Pfarrseminare. Beim Einsatz während des Löschens eines Brandes war ein junger Mann, Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, ums Leben gekommen. Er hinterließ eine 23Jährige Witwe, die es als eine Art Vermächtnis ansah, in dem dortigen Dorf ein Haus zu bauen, was zwar seit einiger Zeit geplant war, wozu aber noch keine konkreten Schritte zur Realisierung eingeleitet worden waren. Die Witwe war in diesem Dorf selbst fremd und hatte dort keine Verwandtschaft. Die Kollegen von der freiwilligen Feuer­wehr bestärkten sie in diesem Vorhaben, indem sie sich zu wesentlichem Mitwirken bei diesem Hausbau verpflichteten. Für die Feuerwehrleute war es ein aktives Mittel, diesen Schock zu bewältigen und zugleich mit ihren Schuldgefühlen fertig zu werden, die auf die unzureichende Berücksichti­gung der Sicherheitsvorschriften zurückgingen. Der Pfarrer versuchte, leider vergeblich, eine vorschnelle Entscheidung zu verhindern, weil er richtig erkannte, daß diese Form des Ersatzes der jungen Witwe es außer­ordentlich schwierig machen würde, sich von ihrem verunglückten Ehe­mann zu lösen, insbesondere dann, wenn das ganze Dorf an dem Bau dieser „Erinnerungsstätte“ mitwirkte und finanzielle Verpflichtungen auf Jahre hinaus eingegangen werden mußten.

Besonderer Beachtung bedürfen die Fälle, bei denen Kinder zu Substituten verlorener Liebesobjekte werden. Dies kann der Fall sein, wenn ein Kind stirbt und durch ein neues ersetzt wird, wenn ein Kind gezeugt wird mit dem sicheren Tod des Ehemannes vor Augen, oder wenn die Mutter oder der Vater bei dem Verlust des Ehepartners bei einem Kind Trost sucht. Besonders im letzteren Fall sind Kinder extremen Belastungen ausgesetzt, weil sie nicht nur selbst den Verlust eines Elternteils bewältigen, sondern auch zusätzlich den Erwachsenen trösten müssen.

Albert C. und Barbara S. Cain haben an einigen Extremfällen aufgezeigt, welche Belastungen auf ein Kind zukommen, wenn es als ein Ersatz für ein verlorenes Liebesobjekt gewählt wird. Bei ihrer Untersuchungsgruppe handelte es  sich um  stark  gestörte  Kinder,  die  zu  einem  Zeitpunkt empfangen wurden, in dem ein anderes Kind auf Leukämie diagnostiziert worden war und voraussichtlich bald sterben würde. Die Störungen der Ersatz-Kinder beruhten weitgehend darauf, daß sie der Belastung eines Substitutes nicht gewachsen waren. Die Verfasser zahlen einige Faktoren einer solchen Belastung auf, die in weniger intensiver Form auch für Kinder auftreten, die Geschwister oder ein Elternteil verloren haben. Vielfach wachsen solche Kinder in einer Atmosphäre auf, die durch die Erinnerung an das tote Kind bestimmt ist. Sein Bild steht an einem sicht­baren hervorgehobenen Platz, die Mutter spricht ständig über es, sein Grab wird häufig besucht. Das neue Kind wird nach dem Modell des alten geformt, das häufig idealisiert wird. Das Ersatz-Kind muß die Erwartungen erfüllen, die die Eltern mit dem toten verbanden, insbesondere was sein Aussehen und seine schulischen Leistungen angeht. Es wird immer wieder mit  dem   toten   Kind  verglichen   und  muß  dagegen   zumeist  negativ abschneiden.

Das Ersatz-Kind wird besonders sorgfältig behütet und überbeschützt. Jedes Überqueren der Straße und Ersteigen eines Baumes werden als potentielle Ursache einer erneuten Katastrophe angesehen. Jeder Husten und jede Hautabschürfung stellen die Eltern und das Kind selbst vor die Frage, ob dies nicht das Anzeichen eines drohenden Todes sei. Besonders belastend wird die Situation, wenn die Frage nach der Schuld hinzutritt. Das Ersatz-Kind wird häufig annehmen, daß sein Vorgänger für irgendein Vergehen mit dem Tode bestraft wurde, zumal wenn Eltern dieses Verständnis durch Strafandrohungen verstärken. Bei den Eltern mag zudem unbewußt der Gedanke hinzutreten, daß dieses Kind an der Stelle des verstorbenen steht und damit in irgendeiner Form verantwort­lich ist für den Tod, den es erlitten hat.

(2) Eine wesentliche Form der Substitution stellt die „Sorge für andere“ dar, auf die oben bereits im Zusammenhang mit der behinderten Trauer hingewiesen wurde. W. A. Greene, der sich diesem Phänomen besonders zugewendet hat, spricht von einem „Stellvertreter-Mechanismus“ („proxy mechanism“). Das Individuum, für das gesorgt wird, findet sich gewöhnlich innerhalb der Familie, ist aber deutlich schwächer als der eigentlich Betroffene. Es ist ein Kind, ein jüngerer Bruder, eine jüngere Schwester oder jemand, der krank und besonders verzweifelt ist. E. Linde­mann berichtet von einem Mädchen, das in der Brandkatastrophe beide Eltern und ihren Freund verliert. Sie scheint zunächst unbetroffen von dem Verlust zu sein und nimmt sich intensiv der Pflege ihrer zwei jüngeren Geschwister an. Sie zeigt keine Trauerreaktion während der folgenden zwei Monate. Erst als der Haushalt aufgelöst wird und die Geschwister zu anderen Pflegepersonen kommen, setzt die volle Trauer ein.

Zuweilen können auch entferntere Personen zu Pflegesubstituten werden, wie die Großeltern oder die Enkel, manchmal, vor allem bei Kindern, auch ein Tier. Das stellvertretende Objekt hat gewöhnlich den gleichen Verlust wie der Hauptbetroffene erlitten. Dieser trauert nicht über den eigenen Verlust, sondern über den Verlust, den dieser Stellvertreter erlitten hat. Eine Mutter, die ihren Gatten verloren hat, mag lebhaft ihre Kinder bedauern, die einen so schweren Verlust zu tragen haben, und sich beson­ders um sie sorgen. Der Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit, von dem der Betroffene annimmt, er werde von der Umgebung nicht gehört, wird auf den Stellvertreter projiziert, der dann zumindest jemanden hat, der ihm hilft. Der Betroffene „fühlt und verhält sich, als sei niemand da, der ihn hört, außer ihm selber“.

Sofern eine chronische Krankheit vorliegt, die nach langer Pflege schließ­lich zum Tode führte, liegt es nahe, an dem Verhalten des „Sorgens für andere“ festzuhalten und es auf andere Sorgeobjekte zu übertragen. Eine Trauernde kann sich entschließen, Krankenschwester zu werden oder sich der Pflege eines kranken Menschen in der Nachbarschaft anzunehmen. Es hat sich für Mütter als durchaus hilfreich erwiesen, wenn sie an der Pflege ihrer hospitalisierten Kinder beteiligt wurden, die an Leukämie erkrankt waren. Jedoch kann nach einer Beobachtung von Mary E. Bozeman et al. die freiwillige Mitwirkung der Mütter auch die volle Realisierung der Trauerarbeit behindern. In einem Fallbeispiel, daß sich bei Greene findet, konzentriert sich eine verwitwete Ehefrau ganz auf die Sorge für ihre Kinder, ohne einen vollen Trauerprozeß zu durchlaufen; erst als viele Jahre später eine ihrer Töchter heiratet und ihr Sohn auf das College geht, zeigt sich die verhinderte Trauer angesichts des Verlustes der stellvertre­tenden Objekte in einer ihr unerklärlichen Erschöpfung und Apathie. Es ist daher sorgfältig bei der „Substitutionstherapie“, die E. Lindemann vorgeschlagen hat, darauf zu achten, daß die Trauer ihre volle Expres­sion erreicht hat und diese Therapie nicht bereits in der regressiven Phase einsetzt.

Daß in der regressiven Phase die „Sorge für andere“ auf eine Distanzie­rung von dem Verlust und dem Schmerz darüber hinausläuft, indem ein Objekt, das ebenfalls einen Verlust erlitten hat, dazwischen geschoben wird, läßt sich auch an der Behandlung der Todesnachricht aufweisen. Sudnow hat beobachtet: „In bezug auf die meisten Personen kann man an einem gewissen Punkt feststellen, daß das Gewicht des erlittenen Verlusts durch Tod seinen Charakter für die, die die Nachricht erhalten, wandelt. Aus einem Verlust, den die Benachrichtigten empfinden, wird ein Verlust, den sie für andere empfinden.“ Während die unmittelbar Betroffenen von dem Verlust sprechen, den sie oder ihre Mutter erlitten haben, drücken entferntere Verwandte und Bekannte das Bedauern aus, das sie für den Betroffenen und seine Mutter empfinden. Was Sudnow hier im Vorgang sozialer Kommunikation aufweist, zeigt, daß die Verwendung des „proxy mechanism“, der Sorge für andere, auf dem Effekt einer Distanzierung beruht. Wer statt selber zu leiden sich für andere sorgt, verhält sich dem Verlust gegenüber genauso distanziert wie entferntere Verwandte und Freunde.

Dies bedeutet keineswegs, daß die „Sorge für andere“ in der adaptiven Phase keine positiven Auswirkungen hätte. Ina May Greer bringt das Fall­beispiel einer Frau, die nach langer Pflege ihre Mutter verliert. Der Trau­erprozeß bleibt bei ihr in einer Depression stecken, doch beginnt sie sich nach einigen psychiatrischen Gesprächen auf eigene Initiative hin einen Beruf zu suchen. Sie versucht zunächst, eine pflegerische Beschäftigung zu finden, wird dort abgewiesen und findet eine andere Tätigkeit, die ihrer früheren gleicht. Zugleich übernimmt sie die Pflege einer Frau im Nach­barhaus. Hier hat ganz offensichtlich nach dem Durcharbeiten der regressiven Phase der Mechanismus des „Sorgens für andere“ zu einer adaptiven Bewältigung geführt.

(3) Bei der Substitution des verlorenen Liebesobjektes durch die rasche Aufnahme neuer Aktivitäten kann in der regressiven Phase die Gefahr bestehen, daß diese den Trauerprozeß behindern und es nicht zu einer vollen Anerkennung des Verlustes kommt. Eine Fallbeschreibung von Edith Jacobson kann dies verdeutlichen:

Fräulein C. hatte vor anderthalb Jahren ihre Schwester verloren, mit der sie ungewöhnlich eng verbunden war. Seit dieser Zeit verharrte sie in einem depressiven Zustand, von dem sie sich nicht erholen konnte. Ihr Gefühlsausdruck war aufs äußerste kontrolliert, ihr Verhalten war zurückhaltend. Ihr gesamtes inneres Leben schien leer, und sie konnte an nichts, auch nicht an ihrer Arbeit, ein Interesse finden. Zugleich war sie von großer Unruhe beherrscht. Sie vermied die Bekanntschaft mit Freunden und zog es vor, ihre Zeit auf Partys oder bei Besuchen mit oberflächlichen Gesprächen zuzubringen. Fräulein C. umging in jeder Weise den Kontakt mit Menschen und Dingen, die sie an den Verlust hätten erinnern können. Sie war voller Schuldgefühle gegenüber jedermann mit Ausnahme ihrer verstorbenen Schwester. Dies war offensichtlich eine Projektion der feindseligen Gefühle, die sie gegenüber ihrer Schwester empfand, aber nicht ausdrücken konnte. Sie gingen zu einem großen Teil auf kindliche Rivalitätskonflikte zurück. Ihre ruhe- und ziel­lose Aktivität verdeckte die Angst und den Schmerz, der mit dem Einsetzen der Trauerarbeit eintreten würde. Damit wurde nicht nur die Realitätsprüfung behindert, sondern die Schwester blieb verloren, weil sie sie trotz aller Liebe nicht in sich aufnehmen konnte. Auch zwei Jahre nach dem Tod war ihr Verhalten unverändert.

Auch hier setzt eine vorschnelle Substitution ein, bevor die Trauerarbeit durch die regressive Phase hindurch ist. Die Warnung vor einer vorschnellen Substitution bedeutet keineswegs, daß der Trauernde ständig an seinen Verlust denken muß und sich nicht durch Tätigkeiten und andere Substitutionen eine zeitweilige Ablenkung verschaffen dürfte. Wesentlich ist nur, daß diese Ablenkungen kurzfristig sind, so wie auch die Verleugnung nur begrenzt eingesetzt werden sollte, um nicht die Anerken­nung des Todes und die Loslösung von dem Verstorbenen zu behin­dern.

(4) Schließlich ist an die besondere Bedeutung zu denken, die orale Substitute haben. Hamburger spricht davon, daß „die Entwicklung von Symptomen des zuviel oder zuwenig Essens im Zusammenhang mit tieferliegenden emotionalen Konflikten zu verstehen sei und zwar unter dem Begriff des substitutiven adaptiven Mechanismus“. In einem Fall­beispiel beschreibt Martha Wolfenstein bei einem Kinde, das seine Mutter verloren hat, einen unstillbaren Hunger, wobei es große Mengen von Essen und insbesondere von Süßigkeiten zu sich nimmt. Im Zusammen­hang der oralen Substitute ist auch der vermehrte Gebrauch von Medika­menten und Alkohol zu sehen, den Peretz, Maddison und Viola und Clayton et al. beobachtet haben, ebenso wie das häufig beobachtbare vermehrte Rauchen. Während orale Substitution in der regressiven Phase durchaus eine Hilfe sein kann, deutet eine anhaltende orale Substitution etwa in der Form von Alkoholismus auf ungelöste Konflikte, die zu einem Verharren in dieser Phase zwingen.

Bei dem Bewältigungsmechanismus der Substitution wird besonders deut­lich, wie wichtig es ist, im Trauerprozeß die regressive und adaptive Phase zu unterscheiden. Solange der Trauernde noch mit dem Bild des Verstor­benen präokkupiert ist, solange er immer wieder in anderen Menschen nur die Züge des Verstorbenen entdeckt, solange er zwanghaft für andere sorgt und sich mit Tätigkeiten voll beschäftigt, um sich nicht dem Schmerz der Erkenntnis aussetzen zu müssen, solange mögen kurzfristige Substitutionen durchaus einen positiven Wert haben, sie sind vielfach notwendig, um die Trauerarbeit mit distanzierteren Formen beginnen zu können, bis sich die volle Einsicht in den Verlust und in den Zwang zur Neuorientierung durchgesetzt hat. Es sollte daher die Regel sein, während dieser Zeit keine Verpflichtungen und Bindungen einzugehen, die sich überhaupt nicht mehr oder nur mit zusätzlichen Belastungen lösen lassen. Es gilt hier der gleiche Rat, den S. Freud den Patienten für die Zeit der Analyse gegeben hat, nämlich „während der Dauer der Kur keine lebenswichtige Entschei­dung zu treffen, etwa keinen Beruf, kein definitives Liebesobjekt zu wählen, sondern für alle diese Absichten den Zeitpunkt der Genesung abzuwarten“.

 

Yorick Spiegel, Der Prozess des Trauerns. Analyse und Beratung (1973), München: Kaiser 21973, S. 299 ff.