Bemerkenswert ist die Änderung durch die Lutherbibel-Revision von 2017: "Davids Ehebruch und Blutschuld" lautete früher die Überschrift, heute steht "David und Batseba" über dem Kapitel. Das vernichtende moralische Urteil ist zurückgenommen!
Davon unbeeindruckt formulierte eine Predigerin zwei Jahre später: "David will ein weiser, gerechter Herrscher sein, der alles richtig macht. Und dann sieht er Bathseba und folgt nur noch seinem Ego. Auf sein unglaubliches Unrecht ist er gar nicht ansprechbar. Er blendet es vollkommen aus - lässt im Dunkeln seiner Seele verschwinden, dass er ein Mörder und Ehebrecher ist. David steht nicht zu sich selbst, weil er nicht zugeben kann, dass er gefehlt hat. Um groß rauszukommen, lügt er sich selbst etwas vor. Das zeigt seine Angst und seine Schwäche."
Batseba wird hier gar nicht weiter erwähnt. Sie erscheint als das unschuldige Opfer eines egoistischen Mannes.
Diese über Jahrhunderte gepflegte Sicht der TheologInnen berücksichtigt nicht Davids bewegendes Bußgebet: Er ist ansprechbar, er kann zugeben, dass er gefehlt hat. Er ist nicht ängstlich und schwach. Er ringt mit Gott um das Leben des Kindes. Als es stirbt, erhebt er sich aus der Asche und liebt seine Frau. Sie wird erneut schwanger und Mutter seines Nachfolgers.
Was für eine herausfordernde Geschichte! Könnte es sein, dass wir diese und andere biblischen Geschichten neu lesen müssen - mit dem Blick für das, was dem Leben dient?
Und Batseba? Sie ist weder Opfer noch Femme fatale, sondern geliebter Mensch Gottes.
Brief an die Predigerin Susanne Breit-Keßler
Liebe Frau Breit-Keßler, ich habe heute Ihre Predigt im ZDF-Gottesdienst gehört. Es ging ja um das Thema "Lüge". Sie haben über die Geschichte von David und Bathseba gesprochen. Mich bewegen in diesem Zusammenhang ein paar Fragen.
Wie konnte Bathseba, die doch mit Uria verheiratet war, die Mutter des David-Nachfolgers werden und damit in den Stammbaum Jesu kommen? Fühlte Bathseba sich von Uria geliebt oder nur wie ein Schaf oder wie eines seiner Kinder behandelt? War Uria sehr viel älter als sie und rührte sie gar nicht mehr an?
Ja, es ist wahr: Davids Blick fiel auf Bathseba, und er begehrte sie. Musste er sich so verhalten, damit zusammenkam, was nach Gottes Vorsehung zusammenkommen sollte? Wird man nach einem intimen Kontakt sogleich schwanger oder gehört noch mehr dazu? Wenn es gleich klappt, soll es so sein? Handelt es sich dann um wirklich königliche Liebe?
Aber wahr ist auch: Mutter und Kind waren nach den damaligen Gesetzen in Lebensgefahr. Denn auf Ehebruch stand die Todesstrafe. David, so verstehe ich es, bemüht sich um Schadensbegrenzung. Er bestellt Uria zur Kriegsberichterstattung ein - der bleibt aber lieber in der Kaserne bei seinen Soldaten. Was sagt das über Uria? David erfährt davon und bestellt ihn noch einmal ein - diesmal mit dem Beiprogramm "Wein, Weib und Gesang", um seine Sinne zu lockern. Aber dieser hoffnungslose Soldat geht nicht zu seiner Frau Bathseba nach Hause, sondern bleibt lieber in der Kaserne. Was sagt das über Uria?
David steht nun vor einer Güterabwägung: zwei Leben gegen eines. Eine schreckliche Wahl. Er schickt Uria in ein Himmelfahrtskommando. Ob der es darauf angelegt hatte? David nimmt Bathseba zu sich und legitimiert damit das Kind. Ob damals nicht ordentlich nachgerechnet wurde? Aber es hilft ihm nichts: Das Kind ist nicht zu retten. Nathan hat ihm diese Strafe Gottes (und noch andere im Blick auf Absalom) angekündigt. Was sagt das Nathan-Gleichnis über die Beziehung Uria-Bathseba?
Vielleicht hat der ältere Uria die junge Bathseba nur sehr verehrt, aber nicht geliebt? Hat er überhaupt viel mit ihr gesprochen und sich um sie gekümmert? Mochte er seine Kriegskameraden mehr als sie und zog deren Gesellschaft vor?
Interessant ist, was nun geschieht: Als das Kind der königlichen Liebe im Sterben liegt, setzt sich David in die Asche und ißt und trinkt nicht mehr. Der Hof ist besorgt. Ich verstehe das so: Er ringt mit Gott um das Leben des Knaben. Wie wäre es mit der Überschrift "Davids Ringen um Bathsebas ersten Sohn" statt "Davids Ehebruch und Blutschuld"?. Die Kapitel-Überschriften sind doch nicht kanonisch, oder? Wer hat die da mit welchem Interesse eingefügt? Und: Sind Predigten dazu da, Überschriften auszulegen?
Jedenfalls: Als der Knabe tot ist, steht David auf, wäscht sich und geht ein zu seiner Frau Bathseba und sie wird sogleich wieder schwanger - diesmal mit Salomo, dem künftigen König. Wer macht denn so etwas? Wann und wo geschieht das denn heute noch? Es muss eine wirklich königliche Liebe zwischen Bathseba (und die war doch vorher mit dem falschen Mann verheiratet) und David gewesen sein!
Interessant ist nun auch noch, wer der Parteigänger Bathsebas und Salomos in den Thronstreitigkeiten nach Davids Tod war: ausgerechnet Nathan. Auch er ein Weiser. Er war ja Gottes Mund und sagte dem bis dato immer heldenhaften Krieger, Frauenheld und Sänger: "Du bist der Mann." Und Davids Antwort auf Gottes entlarvende Wahrheit: Psalm 51. Solche Texte kommen nicht aus bürgerlicher Wohlanständigkeit (Mal ehrlich - 7 Wochen ohne Lüge), sondern aus existentieller Betroffenheit: "Wahrheit, die nur wehtut, ist nicht wahr genug - Liebe, die nur zudeckt, geht nicht tief genug." Heißt es nicht so in dem Lied?
Woher ich das alles habe? Der Schwede Torgny Lindgren hat Bathseba einen faszinierenden Roman gewidmet. Der beginnt so: Bathseba fragt David: Wie ist Gott? Und er antwortet: Wie ich. Und am Ende zweifelt David und fragt Bathseba (der Lindgren auch die Rolle der Abisag von Sunem zudenkt): Wie ist Gott? Und sie antwortet: Wie ich!
Was für eine Geschichte! Der Strahlemann David ist nach der Sache mit Bathseba wie verwandelt: weicher, zurückhaltender, einfühlsamer. Wollte Gott das so? Wem hatte David das zu verdanken? Bathseba? Die beiden haben sich nicht nur geliebt, sondern viel miteinander geredet - auch über Gott.
Das gehört nach Matthäus zum mütterlichen Erbe Jesu - wie die Impulse der drei anderen Urmütter: Thamar, Rahab und Ruth. Mir leuchtet die David-Geschichte nicht unter Antilügen-Gesichtspunkten, sondern unter Proliebe-Gesichtspunkten ein.
Herzliche Grüße sendet Ihnen Peter Godzik, Propst em.