mitgehen

In der Emmausgeschichte heißt es von Jesus, er sei "mit ihnen gegangen". Es tut gut, wenn in einer Notsituation jemand anders signalisiert: "Ich bin bei dir, ich begleite dich auf deinem Weg." Wir Menschen sehnen uns besonders in Zeiten der Trauer und des Leides nicht nur danach, bemerkt und wahrgenommen zu werden. Weil viele von uns fürchten, andere könnten sich von uns abwenden, wenn wir sie mit unserem Leid "belästigen", halten wir Trauer und Schmerz oft verborgen. Gleichzeitig hoffen wir, daß derjenige, der unser Leid sieht, sich nicht erschreckt, empört, ängstlich, überfordert oder gleichgültig abwendet, sondern bei uns aushält und mitgeht.

"Verlaß mich nicht, wenn ich schwach werde" - diese Bitte aus Psalm 91 entstammt dem Gebet eines alten Menschen. Sie richtet sich zunächst an Gott. Aber die Nähe Gottes vermittelt sich fast immer durch die Nähe eines Mitmenschen. Jesus hat sich in seinem Todeskampf im Garten Gethsemane danach gesehnt, daß seine Jünger mit ihm wachen und ihn in seiner Not begleiten. Die Angst vor der Einsamkeit ist nichts, dessen man sich schämen muß. Und nichts kann den Glauben daran, daß Gott da ist, so stärken wie die Erfahrung, daß ein Mensch da ist, wenn ich ihn brauche.

Viele Menschen erleben schon als Kinder, wie sie von Eltern verlassen werden. Viele erleiden im Lauf ihres Lebens Trennungen und Ehescheidungen. Es gab Zeiten, wo es vorkam, daß Menschen in Krankenhäusern zum Sterben in eine Abstellkammer geschoben wurden. Der Gott der Bibel aber sagt: "Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei ..." Dieser Satz betrifft nicht nur die eheliche Gemeinschaft, sondern enthält eine biblische Grundaussage über das Menschsein. Der Gott der Bibel ist ein Gemeinschaftsgott, der Beziehung, Nähe und Liebe will. Der alttestamentliche Gott Jahwe ist ein Gott, der mitgeht: "Ich will mit dir sein", sagt er zu Mose und zu vielen seiner Propheten. Nach Gottes Ebenbild sind auch wir Menschen zur Gemeinschaft und zum Miteinander-Gehen geschaffen. Deshalb gibt es kaum einen größeren Schmerz als den, alleingelassen zu werden. Beistand leisten auf dem Weg in den Tod bedeutet, einem Menschen seine Würde als Ebenbild Gottes zurückzugeben.

Mutter Teresa und ihre Schwestern in den Sterbehäusern von Kalkutta sahen und sehen ihre Lebensaufgabe darin, Menschen wenigstens auf dem Sterbebett zu vermitteln, daß sie gewollt sind.

Oft bedarf das Da-Sein und Mit-Gehen keiner Worte. Worte, die zu früh gesprochen werden, weil ihr Sprecher das Schweigen und das bloße Da-Sein nicht aushält, können verpaßte Chancen sein. Im Alten Testament wird von Hiob berichtet, der alles verloren hat und krank und einsam im Staub sitzt. Seine Freunde kommen, um ihn zu trösten:

Als die drei Freunde Hiobs von all dem Unglück hörten, kamen sie, ... um ihn zu beklagen und zu trösten. Und als sie ihre Augen aufhoben von ferne, erkannten sie ihn nicht und erhoben ihre Stimme und weinten, und ein jeder zerriß sein Kleid, und sie warfen Staub zum Himmel auf ihr Haupt und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, daß sein Schmerz sehr groß war. (Hiob 2,11-13)

Solange die Freunde schweigen, sind sie wirkliche Tröster. Als sie zu reden beginnen und nach Erklärungen für Hiobs Unglück suchen, erreichen sie ihn nicht. Es gibt eine Zeit zu reden und eine Zeit zu schweigen. Das gilt auch für die Seelsorge und besonders für die Begleitung Sterbender.

In Vorbereitungsgruppen üben wir das Mitgehen in kleinen Schritten ein. Das beginnt mit so einfachen Dingen wie ein paar Gesprächsregeln für die Gruppe, die dem Verlauf des Gruppenprozesses dienen. Diese Regeln tragen dazu bei, daß jeder und jede die Verantwortung für sich selbst übernimmt und als selbständiger Mensch an der Vorbereitungsgruppe teilnimmt. Diese Eigenständigkeit ist eine der Voraussetzungen für die Begegnung am Krankenbett und für die Fähigkeit, aktiv mitzugehen.

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