Bewältigung schwerwiegender Lebenssituationen

Inhaltliche Aspekte bei der Bewältigung der schwierigen Situation bei terminal erkrankten Patienten

Bei den Überlegungen für Hilfen zur Bewältigung der schwierigen Situation bei terminal erkrankten Patienten soll noch ein Aspekt berücksichtigt werden, der vonseiten theologischer Reflexion und aus der Glaubenstradition heraus geleistet werden kann: die Frage, welche theologischen Inhalte Patienten helfen können, ihre Situation angemessen zu verarbeiten. Eine Krankenpastoral, die sich als umfassende Begleitung versteht, kann sich der Frage der inhaltlichen Auseinandersetzung der Betroffenen mit ihrem Glauben in dieser besonderen Lebenssituation nicht entziehen.

Ende der sechziger und in den siebziger Jahren gab es die Tendenz, theologisches Reden als Spiel mit vielen und oft leeren Worten zu entlarven und einen Primat des Handelns gegenüber theologischer Rede zu postulieren. Die legitime Form der Nähe mit vom Leid betroffenen Menschen wurde im 'Dasein' und 'Dabeibleiben' erkannt. Zunehmend aber setzt sich die Einsicht durch, daß nicht grundsätzlich auf die Inhalte verzichtet werden kann, zumal sich in solchen Inhalten theologischer Rede Traditionen, Erfahrungen verbergen - oft leidvolle, aber konkrete Erfahrungen und Einsichten früherer Generationen, die Entscheidendes zur Bewältigung konkreter Leidenserfahrungen von Menschen beitragen können.

Hinzu kommt, daß die Bedeutung der Inhalte für die Bewältigung schwerwiegender Lebenssituationen in neuerer Zeit noch aus einer anderen Richtung unterstrichen wird. Die Bewältigungsforschung, die aus der Streßforschung hervorgegangen ist, und hier besonders ihr amerikanischer Hauptvertreter, R.S. Lazarus, erkannte die Bedeutung kognitiver Prozesse als zentrale Faktoren in der menschlichen Anpassung in schwierigen Lebenssituationen. Für Lazarus sind "Emotionen die Folgen und Resultate von Kognitionen ..., d.h. das Ergebnis dessen, wie eine Person ihre Beziehung zur Umwelt bewertet oder konstruiert". Inhaltliche Aspekte spielen sowohl für die subjektive Einschätzung als auch für die Bewertung einer Situation die entscheidende Rolle: "Die Art und Weise, wie ein Individuum die Situationseinschätzung wahrnimmt, ist ... der psychologische Schlüssel zum Verständnis seines Bewältigungsverhaltens in dieser Situation."

In diesem Zusammenhang bekommen biblische Geschichten als Geschichten innerer Auseinandersetzung eines Glaubenden mit Gott im Sinne Ijobs oder im Sinne von Hoffnungsgeschichten, wie der der Emmaus-Jünger einen wichtigen Stellenwert. Die Erfahrungen der Emmaus-Jünger sind es, die eine Identifikation mit den eigenen Erfahrungen ermöglichen, etwa im Sinne von enttäuschter Hoffnung, von Zerbrechen eigener Identität, im Sinne eigener Verlassenheit oder der Notwendigkeit, eine neue Sicht der Wirklichkeit zu gewinnen.

An der Emmaus-Geschichte wird deutlich, wie sehr die Jünger Raum brauchen, Zeit benötigen, um das zu betrauern, zu beklagen und zu beweinen, was sie verloren haben. Wie schwer ist es für sie zu begreifen, daß Tod und Auferstehung keine Gegensätze sind, aber daß es auch keine Auferstehung ohne den Tod geben kann, genauso wenig, wie sie nicht begreifen werden, was Ostern heißt, wenn sie nicht zuvor erlebt haben, was Sterben und Tod für sie selbst bedeutet. Vielleicht gehörten sie auch zu denen, die bis dahin seinen Tod als eine Wirklichkeit, die ihr eigenes Leben betraf, verleugnet und nicht zugelassen haben. Vermutlich hatten sie zu denen gehört, die in den letzten Stunden des Leidens und Sterbens weggelaufen waren, für die es nicht auszuhalten und nicht mitanzusehen war, was da passierte - nicht nur mit Jesus, sondern auch mit ihren eigenen Hoffnungen und Erwartungen.

Erst in ihrer Trauer beginnen sie, sich seinem Sterben zu nähern, sich ihm auszusetzen. Und sie brauchen jemanden, der ihnen zuhört, der sie versteht und annimmt. Das ist unabdingbare Voraussetzung dafür, daß sie sich wieder zuwenden können, einen Blick bekommen für anderes und für den anderen. Erst danach sind sie wieder fähig, ihm zuzuhören.

Erst nachdem das alles geschehen ist, 'erschließt' sich ihnen eine neue Sicht - erschließt er sich ihnen und gehen ihnen die Augen auf. Erst jetzt erkennen sie Jesus in seiner Identität als den Vorösterlichen und gleichzeitig als den Auferstandenen.

Solche Geschichten können dazu ermutigen, sich dem eigenen Weg auszusetzen, in der Hoffnung, ähnliche Erfahrungen zu machen und Durchbrüche zu erleben wie die beiden Emmaus-Jünger.

Werner Schweidtmann

Bewältigung von "tödlichen" Wahrheiten, in: Wege zum Menschen 41 (1989) 193-204, hier 200 ff. (dort auch die hier nicht wiedergegebenen Anmerkungen und Belege).