Grundkurs: Aus der Einleitung 1993

Das Gemeindekolleg in Celle bietet regelmäßig Kurse für Multiplikator* innen an, die in ihrer Gemeinde oder in einer übergemeindlichen Hospiz-Initiative "Laien" zur Begleitung Schwerkranker und Sterbender ausbilden möchten. Dieses Handbuch ist so angelegt, daß es - mit oder ohne Vorbereitung durch das Gemeindekolleg - Grundlage für Kurse zum Thema sein kann. Darüber hinaus ist es als Lese- und Arbeitsbuch für alle gedacht, die beruflich oder familiär mit Schwerkranken und Sterbenden zu tun haben. Der Verlauf des Kurses kann dann einfach als "roter Faden" für die persönliche Beschäftigung mit dem Thema dienen. Der Kurs in der Celler Konzeption gestaltet sich folgendermaßen:

Grundlage des ersten Kursabschnittes, der "Seelsorge in der Nachfolge Jesu" überschrieben ist, ist die Emmaus-Geschichte (Lukas 24,13-35). In dieser Geschichte begleitet Jesus zwei Trauernde, die jegliche Hoffnung verloren haben. Das Verhalten Jesu bietet ein Modell biblischer Seelsorge an. Es dient im ersten Teil unseres Kurses als Leitbild christlicher und gemeindlicher Seelsorge überhaupt. Dabei werden die Kursteilnehmer* innen einen Weg über acht Stationen geführt. Diese Stationen heißen:

Im Rahmen von acht Gruppenabenden sollen sich die Teilnehmer* innen mit dem Themenkreis "Sterben und Tod" auseinandersetzen. Daneben werden eine Reihe von Kenntnissen und Fertigkeiten für die seelsorgerliche Begleitung Schwerkranker und Sterbender vermittelt. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Einübung "aktiven Zuhörens". Einige geistlich-theologische Impulse ("Meditationen") und Sachinformationen kommen hinzu.

So vorbereitet und zugerüstet sollen die Seelsorgehelfer*innen für einige Zeit (sechs bis neun Monate) in Alten- und Pflegeheimen, in Krankenhäusern und zu Hause Schwerkranke und Sterbende besuchen und begleiten. Während dieser "Praktikumsphase" trifft sich die Dienstgruppe regelmäßig (alle zwei bis drei Wochen) zu Aussprache, "Fallbesprechung" und Fortbildung.

Nach diesen ersten praktischen Erfahrungen mit Anleitung folgt der achtteilige Vertiefungskurs (acht Abende oder drei bis vier Abende plus Wochenende). Er dient der Verarbeitung und geistlichen Vertiefung der bisherigen Erfahrungen und steht unter der Überschrift "Das lösende Wort". Mit diesen letzten acht Schritten folgen wir der inneren Struktur der Beichte, die ausgesprochen oder unausgesprochen viele Gespräche vor dem Sterben bestimmt. Die acht Schritte heißen:

Die ersten Erfahrungen mit dem Projekt "Sterbende begleiten - Seelsorge der Gemeinde" in evangelischen Pfarreien liegen vor. Sie haben gezeigt, wie wichtig es ist, daß unsere Gemeinden an diesem Punkt Handlungskompetenz zurückgewinnen. Etliche, die mitgemacht haben, berichten, wie sie sich durch diesen Dienst selbst beschenkt fühlen. Viele Familien sind froh, wenn sie wissen, sie können sich an ihre Kirchengemeinde wenden, wenn es darum geht, einen schwerkranken und sterbenden Angehörigen zu Hause zu begleiten. Und auch in den Alten- und Pflegeheimen und Krankenhäusern würde es wahrscheinlich als Entlastung empfunden, wenn man im Bedarfsfall geschulte und erfahrene SeelsorgehelferInnen einsetzen könnte.

Es ist das Verdienst der Hospizbewegung, darauf aufmerksam gemacht zu haben, daß es in der Sterbebegleitung ohne die Mithilfe ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer nicht geht. Dieses Projekt wird daher neben gemeindlichen Seelsorgegruppen auch übergemeindlichen Hospizinitiativen zur Vorbereitung von Hospizhelfer*innen angeboten, sofern sie sich auf seine christliche Grundstruktur einlassen können. Auch hiermit hat es bereits ermutigende Erfahrungen gegeben. So bildet das ökumenische Katharinen-Hospiz am Park in Flensburg Laien-Helfer*innen nach dem Modell aus, das im vorliegenden Handbuch dargestellt ist.

Ehrenamtliche sind bei diesem Dienst unverzichtbar, weil heute bei steigender Lebenserwartung und wachsender Pflegebedürftigkeit im hohen Alter sehr viele Menschen auf Hilfe und Begleitung angewiesen sind. Sterbebegleitung kann keine Sache für hauptamtliche Fachkräfte allein sein, die schon aufgrund des Pflegenotstandes überfordert sind. Auch Pastorinnen und Pfarrer können angesichts ihrer vielen dienstlichen Verpflichtungen diese Aufgabe nicht ohne eine Dienstgruppe von "Laien" erfüllen. Und auch die Angehörigen können sich diesem Dienst nicht immer umfassend widmen, zumal die Großfamilie nicht mehr existiert, die einst das Sterben ihrer älteren oder auch jüngeren Mitglieder gemeinsam getragen hat. Hier ist eine Gruppe innerhalb der lokalen Kirchengemeinde oder eine übergemeindliche Dienstgruppe vor Ort gefordert. In der Pilotphase des Projekts hat sich gezeigt, daß sich Menschen finden und "berufen" lassen, diesen Dienst zu tun.

Aus der christlichen Verkündigung wissen wir, daß mit dem Tode nicht alles aus ist. Stärker als der Tod ist die Liebe Gottes, die uns hält und begleitet, durch Dunkelheit und Angst hindurchführt und uns am Ende annimmt. Das sollen wir als Christen einander bezeugen und vorleben in dem Maße, wie uns das in unserer menschlichen Begrenztheit möglich ist. Dieser Kurs enthält die Chance, sich zusammen mit anderen über die jeweils eigenen Vorstellungen von Sterben, Tod und Leben nach dem Tod auszutauschen und dabei zu größerer Klarheit und Gewißheit zu gelangen. Er setzt keinen unerschütterlichen und zweifelsfreien Glauben voraus, sondern will unter anderem auch einen Beitrag zum Glaubenswachstum und zur Glaubensstärkung derer leisten, die sich auf diesen Weg einlassen.

Wir haben lange überlegt, wie das Projekt heißen soll. Wäre es nicht besser, von der "Begleitung Schwerkranker" zu reden? Wir sind beim Namen "Sterbende begleiten" geblieben, um der Verdrängung des Todes aus der Sprache und aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit entgegenzutreten. Dennoch empfehlen wir Gruppen, die dieses Projekt durchführen wollen, sich einen je eigenen Namen zu geben. Eine Gruppe in Bethel zum Beispiel nennt sich Lukas-Gruppe (nach dem Arzt und Evangelisten Lukas aus der Bibel). Im Untertitel könnte man dort dann von einem "Kreis zur Betreuung Schwerkranker und Sterbender" sprechen. 

Andreas Ebert

Vorwort 2012

Was haben wir zu tun, wenn wir Sterbende begleiten? Wir sind aufmerksam und unterstützen sie auf dem letzten Stück ihres Lebensweges, dass sie möglichst ohne Schmerzen, gut gepflegt, umsorgt von ihren Freunden oder Angehörigen, weitgehend selbstbestimmt ihren letzten Atemzug tun können. Wir verhalten uns dabei wie gute Hebammen: Wir erleichtern das Durchschreiten des Tores, denn Sterben ist ein "Geborenwerden in die Welt bei Gott". Wir freuen uns, wenn es geschafft ist; wir holen Hilfe herbei, wenn es zu schwer und kompliziert wird.

Die Menschen sollen und wollen nicht durch unsere Hand sterben, sondern an un­serer Hand, deshalb bereiten wir uns sorgfältig auf diesen Weg vor. Als Angehörige, Freunde und Ehrenamtliche in der Sterbebegleitung lernen wir in acht Schritten seelsorgerliche Tätigkeiten: wahrnehmen, mitgehen, zuhören, verstehen, weitergehen, bleiben, loslassen, aufstehen. Ja, auch loslassen und aufstehen, weil es der sterbende Mensch uns vormacht: Wir bleiben nicht hocken im gehabten Leben, wir gehen weiter, durch das Tor hindurch.

Es gibt Bilder, die das Begleiten und Unterstützen im Sterben beschreiben: Wir bilden ein tragendes Netzwerk, wir achten einander in unseren unterschiedlichen Tä­tigkeiten und Professionen. Unmittelbar in der Nähe des sterbenden Menschen, ihm zugewandt, leisten wir unseren Dienst oder bleiben in respektvollem Abstand stehen und beobachten, was geschieht, wann wir gebraucht werden und wann nicht. Wenn es darauf ankommt, halten wir die Hand unter oder legen sie zum Segen auf. Wir fragen uns, was das Sterben erleichtern könnte: eine gute Schmerztherapie, eine ganzheitliche Pflege, eine Bearbeitung letzter ungelöster Probleme, eine gute und liebevolle spirituelle Begleitung.

Bei der Geburt ist Steißlage eine schmerzhafte Komplikation, im Sterben auch. Wie ermöglichen wir es, dass die von uns begleiteten Menschen in "geistliche Kopflage" kommen können? Eine Perspektive muss her, eine Vorstellung, ein Traum von dem, was vor uns liegt. "Wer nur zurückblickt, ist nicht geschickt für das Reich Gottes" (Luk 9,62).

Könnte das der unverzichtbare Beitrag der Seelsorgenden sein, Perspektiven zu er­öffnen, Deutungshorizonte in den Blick zu nehmen, die vom Schmerzhaften des Ab­schieds ablenken und Trost vermitteln? Eine gute Hypno-Therapeutin arbeitet so mit ängstlichen und widerstrebenden Kindern: sie lenkt sie ab und nimmt sie mit auf eine Traumreise - und unversehens ist geschehen, wovor sie sich gefürchtet haben.

Mit diesem Buch möchten Herausgeber und Verlag erreichen, dass Menschen, die unter schwierigen Bedingungen von ihren sterbenden Angehörigen Abschied nehmen müssen, in die Lage versetzt werden, ein geeignetes Begleitbuch für ihre persönliche Vorbereitung auf das Sterben und den einsetzenden Trauerprozess zur Verfügung zu haben. Gerade in solchen Fällen hat sich die vorliegende Sammlung besonders bewährt.

Schleswig, im Frühjahr 2012                                  Peter Godzik