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Mondaufgang über Broager von Bockholmwtk aus gesehen im August 2025 (Foto: Joachim Becka)

Himmlische Heimat

Bloch-Zitat

In seinem grundlegenden Werk "Das Prinzip Hoffnung" bezeichnet der marxistische Philosoph Ernst Bloch "Heimat" als etwas, "was allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war" (S. 1628).

Heimat - Gedanken aus biblischer Sicht

Von: Dietrich Heyde, erschienen im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe 8/2025. Dietrich Heyde nähert sich dem Verständnis von Heimat an: aus psychologisch-biografischer, aus politischer, aus kultureller Perspektive - und stößt dabei auf zahlreiche biblisch-religiöse Bezüge.

Was wir am Ende suchen

Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich leise vor mich hinmurmle: "Ich möchte nach Hause." Dabei stehe ich womöglich gerade vor meiner eigenen Haustür. Doch "nach Hause" bedeutet noch etwas anderes als die eigenen vier Wände. Es ist Metapher für einen Ort jenseits unserer erfahrbaren Welt. Wir kommen daher und wir gehen dahin. "Heimat ist etwas, was jedem in die Kindheit scheint und worin noch niemand gewesen ist", schrieb einmal Ernst Bloch. "Nach Hause!" ruft E.T.

Menschen sind Pilgernde auf ihrem Lebensweg (Hebräer 13,14). Ich bin in meinem Leben viele Male umgezogen: von Flensburg nach Leck, nach Pinneberg, nach Kiel, nach Schenefeld, nach Bogotá, nach Preetz, nach Kiel, nach Büdelsdorf, nach Hannover, nach Schleswig, nach Ratzeburg und wieder nach Schleswig. Das macht zwölf Umzüge in 66 Jahren, die innerörtlichen Umzüge gar nicht mitgerechnet. So viel äußere Bewegung tut gut trotz aller damit verbundenen Abschiede: sie hält geistig frisch und erinnert immer wieder daran, neue Aufbrüche zu wagen. Abraham lebte so, der alt wurde und lebenssatt starb; und auch Jesus, der für uns als junger Mensch sein Leben ließ und uns half, den Tod zu überwinden.

Was suchen wir am Ende unseres Pilgerweges? Die Bibel erzählt vom Garten Eden, aus dem die Menschheit stammt. Und sie erzählt vom himmlischen Jerusalem, in das wir einziehen sollen. Durch zwölf Tore in den unterschiedlichen Farben der Edelsteine, die symbolisch für das Gottesvolk stehen. Keine Einheitsfarbe, wie die irdischen Demagogen schon immer meinten. Verschieden, wie wir sind. Und darin? Die Ströme des Paradieses, ein Platz in der Mitte, Frieden, der Baum des Lebens und das Lamm Gottes. Das himmlische Jerusalem symbolisiert unsere Hoffnungen: "Ich wollt, ich wär in dir!"

Wonach sehnen wir uns? Nach Hause zu kommen! Das war besonders in den Kriegs- und Notzeiten so: Die Menschen wollten nach Hause. Wie der verlorene Sohn. Deshalb sind Flüchtlingsbewegungen so schrecklich: Menschen verlieren ihr Zuhause durch eigene oder fremde Schuld. Sie müssen erst wieder ein Zuhause finden, um wirklich daheim sein zu können. Aber auch die neue Heimat bleibt nicht ewig. Sie zerbricht wie alles Irdische. Unser Heimatrecht ist im Himmel. Können wir das fassen?

In der Kulturgeschichte des ewigen Lebens gibt es auch viele Umzüge, Vertreibungen, Neuanfänge. Die Menschen möblieren den Himmel wie ihre irdische Welt; die Theologen werfen den irdischen Plunder wieder hinaus und reduzieren uns auf die reine Anbetung. Was suchen wir? Die Liebe: Wir wollen erkennen, gleich wie wir erkannt wurden. Das Stückwerk soll aufhören und die Tränen sollen abgewischt werden. Endlich sollen vor allem Gerechtigkeit und Frieden herrschen! Und so wird es sein: Wir werden am Ende kristallklar - durchscheinend für die Liebe Gottes.

Was bedeutet das für das neue Jahr? Wir sollten nicht so viel an den materiellen Dingen hängen und Lotto-Millionär werden wollen. Wir sollten unsern Ehrgeiz darein setzen, geistig und geistlich zu wachsen. Heraus aus dem Erdenstaub, hinein in das Licht! So umgestaltet können wir auch noch etwas Tapferes für die Welt tun, solange es Zeit ist. Denn das ist das Geheimnis des Unterwegsseins: Zeit zu haben für Erinnerung, Aufmerksamkeit, Erwartung. Adventlich leben heißt noch etwas erwarten von Zeit und Ewigkeit.

Abgedruckt in: Peter GodzikVon Worten, Sternen und anderen Kostbarkeiten. Ein geistliches Jahrbuch, Rosengarten b. Hamburg: Steinmann 2016, S. 157 f.

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10 Jahre Pastor in Büdelsdorf

02.11.1986:Predigt am 23. Sonntag nach Trinitatis über Philipper 3,17-21

Wenn ich gefragt werde, woher ich stamme, welche Gegend denn meine Heimat sei, gerate ich immer in eine gewissen Verlegenheit. Dabei scheint auf den ersten Blick alles klar zu sein: ich bin in Flensburg geboren und dort aufgewachsen, also Schleswig-Holsteiner. Aber mein Name "Godzik" verrät eine andere Herkunft, er ist wohl polnischen Ursprungs, meine Eltern stammen beide aus Schlesien. Es gibt ein paar Reste dieser Zugehörigkeit, erkennbar an den Weihnachtsbräuchen unserer Familie -aber sonst bin ich doch wohl -und das auch gern -ein Schleswig-Holsteiner; jedenfalls, wenn man die Frage nach der Heimat mit dem Wort "woher?" verbindet.

Nun, die Bibel, speziell dieser Abschnitt aus dem Philipperbrief, der heute unser Predigttext ist, hat mich gelehrt, dass man die Frage nach der Heimat auch anders stellen kann, nämlich so, dass sie mit dem Wort "wohin?" beginnt. Wohin bist du unterwegs? Welches ist die Heimat, nach der du dich ausstreckst und sehnst? Paulus sagt: "Unsere Heimat ist im Himmel. Von dorther erwarten wir die Rettung für unser Leben." Diese Betrachtungsweise ist sehr bedeutsam. Aber das bringt einen Christen auch in erhebliche Probleme.

Auf der einen Seite gehört er ganz in diese Welt mit all ihren Bindungen und Verpflichtungen. Er hat ein Herkommen, das ihn bindet an Sprache, Kultur und Eigenart seiner Nation. Er hat einen Leib mit ganz bestimmten Regungen und Bedürfnissen. Er wächst hinein in Familie, Beruf und Gesellschaft mit all den Rechten und Pflichten, die sich daraus ergeben.

Auf der anderen Seite hat er sich einer Sache, nein, besser gesagt, einer Liebe verschrieben, die all diese Grenzen und Bindungen hinterfragt und verwandelt. Er entdeckt nämlich, dass christliche Geschwisterschaft nicht an den Grenzen Halt macht, die wir sonst einzuhalten gewohnt sind, sondern weit über das hinausgeht, was uns sonst bindet und zu Loyalität verpflichtet: die Zugehörigkeit zu einer Nation, zu Familie, Stand und Beruf.

Gott will, dass wir das auch ein Stück weit hinter uns lassen können, um frei zu sein für sein Reich, das er unter uns bauen will. Denn Jesus sagt im Evangelium: "Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker verlässt um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der nicht hundertfältig empfange jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker mitten unter Verfolgungen, und in der zukünftigen Welt das ewige Leben" (Mark. 10,29-30).

Wie gesagt, ein Christ hat es nicht leicht, wenn er all die Loyalitätsverpflichtungen spürt, die sich daraus ergeben, dass er Bürger zweier Welten ist: des Himmels und der Erde, Weltperson und Christperson in einem. In der Evangeliumslesung haben wir gehört, wie Jesus diesen Konflikt gelöst hat, jedenfalls in einer Situation, in der er in Verlegenheit gebracht werden sollte gegenüber der weltlichen Obrigkeit. Jesus antwortet den ihn versuchenden Pharisäern: "So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!"

Für den Augenblick mag diese Auskunft ja reichen, und sie entspricht auch dem, was wir als Christen meistens leben: nämlich das Nebeneinander von weltlichen und geistlichen Verpflichtungen. Aber was geschieht, wenn das in Konflikt miteinander gerät, wenn es eigentlich nicht mehr möglich ist, der Welt und Jesus zugleich zu folgen? In der Apostelgeschichte wird deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es Situationen gibt, in denen wir uns entscheiden müssen: "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen." Darauf möchte uns Paulus auch in seinem Brief an die Philipper aufmerksam machen.

Es gibt eine Lebensführung, die der Sache Jesu strikt zuwider ist. Leute, die so leben, laufen in ihr Verderben, sagt er. Ihr Gott ist ihr Bauch, hat Luther übersetzt, oder -wie es in der modernen Übersetzung heißt: "Ihre Triebe sind ihnen ihr Gott. Sie sind auch noch stolz auf das, was ihnen eigentlich Schande macht. Sie denken nur an das, was zu dieser Welt gehört."

Es gibt also eine Weltverbundenheit oder ein Weltverhaftetsein, das christlich nicht mehr zu legitimieren ist, sondern wegführt von der Sache Jesu.

Welche "Triebe" aber meint Paulus? Nun, im Römerbrief spricht er davon, dass das Reich Gottes nicht Essen und Trinken ist, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist (Römer 14,17). Er meint also zunächst eine Art Reichtum und Wohlleben, das uns zu gottvergessenen Leuten macht. Und ganz gewiss müssen wir zu diesen schädlichen Trieben noch ergänzen die Macht und die Selbstherrlichkeit, mit der Menschen heutzutage zuwerkegehen, wenn sie sich die Schöpfung zu ihren Zwecken unterwerfen. Da kommt nämlich genau das unter die Räder, was Paulus uns als Kennzeichen des Reiches Gottes vor Augen hält: Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist.

Wenn wir wirklich in erster Linie Bürger des Himmels sind und dort unsere innere Heimat haben und von dorther die Rettung für unser Leben erwarten, dann müsste das auch deutlich werden an unseren Taten und Entscheidungen, an unserer Art miteinander zu leben und die vorhandenen Güter zu teilen.

In der Geschichte gerade unseres Volkes hat es leider oft genug Situationen gegeben, in denen die Menschen eher bereit waren, ihren weltlichen Bedürfnissen und vermeintlich nationalen Loyalitäten zu folgen, als nun gerade festzuhalten an ihren himmlischen Bürgerrechten und -pflichten. Das hat zu schlimmen Katastrophen geführt und die Menschen wirklich ins Verderben gerissen. Sie haben in der Tat ihre Heimat verloren, ihre weltliche zuerst, was schlimm ist und weh tut, aber dann auch ihre geistliche, was noch folgenschwerer ist und viele Menschen ganz und gar verloren sein lässt, ausgesetzt ihrer Klage, ihrem Irrtum, ihrem Scheitern und ihrer tiefen inneren Heimatlosigkeit. "Unsere Heimat ist im Himmel", sagt Paulus und möchte uns damit lösen von allen verkehrten Bindungen und wieder heil machen im Blick auf die Zukunft, die uns entgegenkommt.

Wir sollen ja verwandelt werden. Aus einem Schleswig-Holsteiner oder Pommer oder Schlesier soll ein Weltbürger und dann ein Himmelsbürger werden, einer der sich ausstreckt nach dem, was vor ihm liegt, nämlich die barmherzige und gnädigen Zuwendung Gottes. Es geht also um die Verwandlung der Perspektive: Das Leben begreifen aus Gegenwart und Zukunft. Keiner von uns soll festgelegt sein auf ewig auf seine Herkunft, seine Rasse, sein Geschlecht, seine Leistungen oder sein Versagen.

Wir sollen freie und geliebte Menschen Gottes werden, Himmelsbürger, die hier schon etwas von dem ahnen lassen, was Gott uns ganz erst in der himmlischen Vollendung schenken wird.

Der Ort, an dem das hier und heute schon ein Stück weit erfahrbar ist, ist die christliche Gemeinde, hier in unserem Ort und überall in der Welt. Zusammengeführt aus Ost und West, von nah und fern; die Unterschiede von Rasse, Geschlecht, Beruf und Stand überwindend; verbunden an dem einen Tisch des Herrn sollen wir etwas abbilden von der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.

Die Welt wartet darauf, sie braucht dieses Zeugnis. Sie braucht Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist. Wenn wir heute als Kirchenfamilie beisammen sind, uns freuen dürfen an neuen Mitarbeitern und das Jubiläum eines unserer Pastoren feiern, uns im Abendmahl verbunden wissen den Christen zu allen Zeiten und an allen Orten, dann wird etwas deutlich von der Liebe, mit der Gott uns immer wieder sucht. Er lässt uns leben als Bürger dieser Welt mit all ihren Bedürfnissen und Verpflichtungen, aber er schenkt uns auch neue, verwandelnde Erfahrungen, die unseren Blick nach vorne richten möchten auf das, was uns entgegenkommt. "Wir sind Bürger des Himmels", schreibt Paulus, "haben dort unsere Heimat. Und von dorther erwarten wir auch unseren Retter und Heiland, Jesus Christus, unsern Herrn." Amen.

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