Stumm bleiben, heimkehren?

Text: Lukas 1,67-69

Liebe Gemeinde!

Es geht bei diesem Lobgesang um den neuerwachten Glauben eines Priesters. Das ist mir, aus verständlichen Gründen, sehr nahe. Ich bin ja auch ein einfacher Priester oder Pastor wie Zacharias, der regelmäßig seinen Dienst versieht und sich bemüht, fromm und rechtschaffen zu sein.

Aber mit dem eigenen Glauben ist das so eine Sache. Er wird stiller und bescheidener im Laufe der Zeit, er nutzt sich ab und droht, im Getriebe des Alltags zu ersticken. Der Enthusiasmus früherer Jahre ist dahin.

Mit Zacharias mag das nicht anders gewesen sein. Er ist alt geworden, seine Ehe ist kinderlos geblieben. Er gibt sich Mühe bei der Arbeit, aber an Wunder, die ihn persönlich betreffen, kann er schon lange nicht mehr glauben. Da geschieht das große Wunder in seinem Leben: Er wird heimgesucht von Gott. Heimsuchung: das ist ein schillerndes Wort. Es klingt bedrohlich und doch auch schön. Wir werden nämlich heimgesucht - so gebrauchen wir ja das Wort - von Krankheit und Schicksalsschlägen, das ist das Schreckliche daran. Aber wir werden gerade darin gesucht und gefunden und heimgebracht, das ist das Gute daran.

Um bei Zacharias zu bleiben: Er wird stumm und verliert die Sprache, als er heimgesucht wird von Gott. Das ist eigentlich eine ziemliche Katastrophe für einen Priester oder Pastor, wenn der nicht mehr reden kann! Aber es hat auch einen tiefen Sinn: Gott bringt uns zum Schweigen, damit wir nicht immer dazwischen reden, alles besser wissen oder bezweifeln. Wir sollen still werden und auf ihn hören, damit wir wieder glauben können. »Wenn ihr umkehrtet und still bliebet, so würde euch geholfen«, heißt es wie zur Bestätigung beim Propheten Jesaja, »durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein«.

Ums Stillwerden und Hoffen geht es im Advent. Wenn wir das können - schweigen und warten - dann kommt Gott zu uns, besucht uns, sucht uns heim. In der Geschichte von Zacharias heißt es: »er blieb stumm ... und er ging heim«. Vielleicht ist das auch etwas, was wir tun können in diesen Tagen vor Weihnachten: Stille werden und heimkehren.

Mit Heimkehren meine ich nicht nur etwas Äußerliches - mal wieder öfter zu Hause sein bei der Familie, obwohl das auch schon sehr wichtig wäre - nein, heimkehren bedeutet für mich noch mehr: nämlich zu sich selber und darin zu Gott finden. Das geht nur, wenn man wirklich Einkehr hält, schweigt, horcht, wartet, hofft.

Die Kerzen, die wir nun wieder anzünden, die Musik und die Lieder, der Duft von Kaffee und Gebäck können uns dabei vielleicht eine Hilfe sein. Wenn wir uns nicht anstecken lassen von der allgemeinen Hektik der Vorweihnachtstage, dann könnte die Adventszeit für uns eine Zeit der Umkehr und Buße werden, eine Zeit der Heimkehr zu uns selber und zu Gott.

Zacharias damals blieb stumm und kehrte heim. Und da geschah das Wunder, daß Gott ihn und seine Frau Elisabeth besuchte, daß neues Leben in den beiden Alten keimte und der Sohn endlich geboren wurde. Was Zacharias bei aller Frömmigkeit und Rechtschaffenheit schon längst nicht mehr glauben konnte, das geschieht in seiner Adventszeit, als er still wurde und Einkehr hielt, als er wartete und hoffte.

»Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein«, bestätigt der Prophet Jesaja, »aber ihr wollt nicht«. Zacharias wollte, ja er mußte durch eine unwiderstehliche Kraft, die über ihn gekommen war. Wollen wir? Lassen wir uns Zeit für eine Begegnung mit dem Engel?

Am Ende der Geschichte kommt neues Leben und neuer Glaube in diesen alten Mann. Ganz langsam beginnt es. Noch stumm und ergriffen schreibt er aufeine Tafel, was nicht nur ein Name ist, sondern ein ganz persönliches Bekenntnis: Johannes - Gott ist gnädig. Und so soll auch der Sohn heißen, der ja nicht sein eigener Stolz ist, sondern ein Geschenk Gottes. Johannes - Gott ist gnädig. Und als hätte er damit das Wesentlichste für sein Leben begriffen, bricht es nun mit Macht aus ihm heraus: »Gelobet sei der Herr, der Gott Israels!«

Ich sehe ihn vor mir, den alten Mann, wie er nach angemessenem Ausdruck sucht für das, was in ihm vorgeht. Zuerst fallen ihm die alten Worte der religiösen Tradition ein, in der er aufgewachsen ist und die er auswendig gelernt hat. Er zitiert die Schrift, aber es steckt schone eine Menge eigene Erfahrung in dem, was ihm einfällt: Gott hat mich besucht, er hat mich erlöst. Er ist barmherzig zu mir. Ich will ihm dienen mein Leben lang.

Und am Ende findet er eine ganz neue Sprache in der Zuwendung zu dem Kind, das nicht sein eigenes ist, sondern ein Geschenk Gottes an alle Menschen: Du wirst ein Wegbereiter sein vor dem her, auf den wir warten. Uns, die wir sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, wird er erscheinen und richten unsere Füße auf den Weg des Friedens.

Da löst sich etwas Angestautes in diesem alten Mann, seine tiefsten Hoffnungen kommen zur Sprache, er kann plötzlich ganz anders reden als sonst, weil er von neuem glaubt, weil er spürt und sieht, daß das wahr ist: Johannes - Gott ist gnädig.

Können wir auch so glauben, so von der Tiefe unserer Liebe und unserer Hoffnung sprechen? Und wenn nicht - können wir es wenigstens ein Stück weit wieder lernen?

Vielleicht könnte unsere Vorbereitung auf Weihnachten, unsere Adventszeit, daraus bestehen:

  • daß wir stille werden und hoffen,
  • daß wir tiefer verstehen als sonst, wer wir sind und wie wir leben - in Finsternis und Schatten des Todes,
  • daß wir begreifen und uns immer wieder sagen lassen, worauf es ankommt in unserem Leben: »und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens«.

Daß wir, wenn wir schon selbst nicht mehr den Weg gehen können, der uns gewiesen ist, weil wir zu müde und alt geworden sind, doch zu Wegbereitern werden für das Neue, das Gott der Welt schenken will.  Amen.

Peter Godzik

Abgedruckt in: Erhard Domay (Hg.), Gottesdienstpraxis - Serie B: Advent. Gottesdienste, Andachten, Predigten, Liturgische Texte, Materialien zur Gestaltung von Feiern, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1995, S. 85-87.