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Prof. Dr. Manfred Seitz

Ein biblisches Grundmuster für Seelsorge

Wir entdecken in der Bibel Grundmuster der Seelsorge. Der Begriff "Grundmuster" stammt von dem schwedischen Religionspsychologen Hjalmar Sundén (Gott erfahren. Das Rollenangebot der Religionen, Gütersloh 1975). Er versteht darunter diejenigen Gedanken, Erfahrungen, Eindrücke und Bilder, mit deren Hilfe wir wahrnehmen und Wahrgenommenes einordnen können ("wir sehen nur, was wir wissen").

Als Beispiel erzählt Sundén dazu eine Begebenheit:

Ein Kapitän geriet mit seinem Fischkutter in einen Sturm. Das Steuer brach, und das Schiff wurde - stark beschädigt - in einen Bereich verschlagen, wo es keine Schiffsroute gab. Die Lage war hoffnungslos. Da tauchte im Nebel ein Schiff auf. In diesem Augenblick fiel dem Kapitän die Geschichte Jesu vom Wandel Jesu auf dem Meer ein. Und in diesem Augenblick wußte er: Das ist nicht ein Schiff, das ist Christus selbst. Ohne das Grundmuster der Erzählung vom Wandel Jesu auf dem Meer hätte er nur ein Schiff - nicht aber Christus - im Sturm gesehen.

Wenn wir die Bibel in diesem Kapitel auf das Thema "Seelsorge" hin befragen, geht es uns nicht darum, aus den Aufzeichnungen der Gespräche Jesu eine Methodik für das Seelsorgegespräch herzuleiten - das wäre exegetisch tatsächlich fragwürdig -, sondern wir können bei der Lektüre des Neuen Testaments Gesichtspunkte oder Grundmuster für unser Verhalten gewinnen.

Das soll an der Perikope von den Emmausjüngern (Lk. 24,13-35) deutlich werden:

1. Sie gehen unter dem Eindruck des Erlebten miteinander (V13-15a).

Ihr Gespräch dreht sich um die Ereignisse, die hinter ihnen liegen: Ihr Herr ist tot; sein Grab ist leer. Mit dieser Last, die sie bedrückt, gehen sie ihren Weg.

2. Unerkannt gesellt sich der Auferstandene zu ihnen (V15b-19a).

Der Unbekannte schließt sich ihnen an und geht mit. Schweigend; aber er fragt nach dem, was sie beschäftigt. Dadurch löst er aus, daß sie erzählen.

3. Sie berichten ihm, was vorgefallen ist (V19b-24).

Sie tun es offenbar ausführlich. Er geht mit innerlich und äußerlich. Er unterbricht sie nicht und hört zu mit unendlicher Geduld.

4. Dann öffnet er ihnen das Verständnis dafür (V25-27).

Als sie geendet hatten, fing er an. Als sie sagten: "Aber ihn sahen sie nicht", hätte er antworten können: "Jetzt seht ihr mich." Stattdessen eröffnet er ihnen die Schrift. Nun fällt ein bestimmtes Licht auf ihr Problem.

5. An der Gebärde des Brotbrechens erkennen sie ihn (V28-32).

Währenddessen gelangen sie ans Ziel. Er aber will weitergehen. (Seelsorge ist befristetes Begleiten.) Er willigt ein, zu bleiben, und "nahm ...das Brot, dankte, brach's, und gab's ihnen". Daran erkennen sie ihn. Es ist ein Wiedererkennen.

6. Danach gehen sie zurück, um alles mitzuteilen (V33-35).

"Sie standen auf." Das Symbol für das wiederaufgerichtete Menschenleben. Nun stehen sie auf seinem Weg und wechseln ihre Lebensrichtung. "Der Herr ist wahrhaftig auferstanden." Sie werden aktiv.

Manfred Seitz, Erlangen: Vorlesung Seelsorge (nach 1975).