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Hoffnung und Bild

von Gisbert Greshake

Das erste, was die neuere Theologie unter der Führung der Exegese erkannte, war die Bildhaftigkeit der endzeitlichen Aussagen. Die Heilige Schrift ist keine Art Wahrsagerin, die die Zukunft, unsere eigene oder die der Welt, "vorweg" weiß und uns deshalb sagt, was am Tag X, nämlich am Tag unseres Sterbens oder am Jüngsten Tag, geschehen wird. Nirgendwo - das läßt sich zeigen - läßt uns die Schrift wahrsagerisch einen Blick in die Zukunft tun.

Mit den Schriftaussagen über das "Letzte" verhält es sich ähnlich, wie mit den ersten Kapiteln der Hl. Schrift, die über den Anfang handeln (sogenannter Schöpfungsbericht, Paradieses- und Urstandsgeschichten). Auch hier sind uns, wie heute allgemein bekannt, nicht einfach historisierend-beschreibende Informationen darüber gegeben, "wie es gewesen ist", sondern in bildhafter Weise bringen diese Geschichten viel Fundamentaleres zum Ausdruck, so z.B. die absolute Abhängigkeit des Menschen von Gott, seine Unmittelbarkeit zu ihm, die Würde seiner Freiheit, das Wesen der Sünde und ihre Folgen. In diesen Urgeschichten sind also aktuelle geschichtliche Glaubenserfahrungen Israels mit seinem Gott an den Anfang allen Geschehens zurückprojiziert, um darzutun, daß diese gegenwärtigen Glaubenserfahrungen grundsätzliche Geltung für alle Zeiten haben.

Der in den Urgeschichten bildhaft beschriebene "Anfang" meint also keinen zeitlichen Anfang, sondern den immer geltenden Grund und das innerste Herz allen Geschehens. Anfang und Ende sind nun aber strikt aufeinander bezogen und entsprechen sich in Struktur und Funktion. Von daher ist also schon zu erwarten, daß auch die Endaussagen nicht einfach über das zeitliche Ende der Geschichte informieren wollen, sondern daß sie gleichfalls der aktuellen Glaubenserfahrung entspringen und diese hoffend in die Zukunft hinein verlängern:

Der Gott, der jetzt und in der Vergangenheit das menschliche Leben und die ganze Geschichte umfängt, der der ganzen Wirklichkeit Grund und Halt, Sinn und Ziel, Führung und Beistand gibt, ja der den Menschen als Bundespartner erwählt, um sich ihm personal mitzuteilen - dieser Gott wird auch die Zukunft aller Schöpfung sein, ihr letzter Sinn und ihr letztes Ziel; Gottes Willen zur Selbstmitteilung an den Menschen wird sich nichts entgegenstellen können, weder Tod noch Untergang; wen Gott zur Gemeinschaft mit sich erwählt hat, der ist unausweichlich vor Gott gestellt, jetzt und in Zukunft, auf Gedeih oder Verderb.

So entstammen die Aussagen über die letzte Zukunft, wie wir sie in Schrift und Tradition finden, nicht einem wahrsagerischen Blick in die Zukunft. Sie sind vielmehr bildhafte "Hochrechnungen" und "Verlängerungen" des jetzt den Menschen bestimmenden Glaubens an das Ende der Lebens- und Weltgeschichte, um Verheißung und Hoffnung, die wesentlich zum Glauben gehören, auszudrücken. In diesem Sinn sind die Aussagen über die "Letzten Dinge" Hoffnungsbilder.

Mit diesem Ausdruck ist ein Doppeltes gesagt:

1. Es geht nicht um ein Wissen, um ein Vorweg-Wissen der Zukunft, sondern um Hoffnung. Hoffen ist etwas anderes als Wissen und Erkennen. Der Wissende weiß: So und nicht anders ist es; der Erkennende stellt fest, er argumentiert, definiert, deduziert. Erkennen ist auf klare, eindeutige, möglichst abgeschlossene Ergebnisse ausgerichtet; Erkennen legt fest. Wer hofft, hält dagegen alles offen. Für den Hoffenden liegt nichts unwiderruflich fest, ist nichts abgeschlossen. Die Wirklichkeit, wie sie ist, mit ihren Widersprüchen, Schründen und Abgründen, mit ihrem Dunklen und Widersinnigen ist für den Hoffenden nicht endgültig: Er baut darauf, daß alles zum Guten veränderbar ist, daß das scheinbar Ausweglose und Festgefahrene nicht das Definitive ist, sondern daß alles umfangen ist von einem letzten Sinn, daß alles einmündet in eine letzte Versöhnung und Heilung, ohne aber das Wie und das Was zu wissen.

Hoffen ist oftmals Hoffen gegen Wissen und Erkennen. Die Volksweisheit hat das Sprichwort geprägt: "Hoffen und Harren macht manchen zum Narren". Damit ist eine tiefe Weisheit ausgesprochen, daß nämlich der Hoffende oft auf der Seite des Narren steht, daß er nicht bei denen zu finden ist, die wissen und erkennen und sich in der Welt, wie sie ist, vernünftig, distanziert auskennen. Der Hoffende steht auf der Gegenseite, er stellt gerade das festlegende Erkennen, das unabdingbare Wissen in Frage, hält alles offen, vertraut auf ein gutes Ziel, oft gegen alle Hoffnung. In diesem Sinn sind die Aussagen der Schrift über das Ende Hoffnungsbilder: sie bringen zum Ausdruck, daß die persönliche Geschichte und die Geschichte der ganzen Welt auf ein gutes Ende hinausläuft.

2. Ein Zweites aber ist mit der Bezeichnung "Hoffnungsbilder" ausgesagt: Es sind Bilder! Das Bild ist ganz wesentlich mit dem Hoffen verbunden. Zum Erkennen gehört die Formel, die Definition, der feste Satz, die These, das Dogma. Zum Hoffen dagegen gehört das Bild. Wie anders soll sich Hoffnung äußern als in bildhaften Vorstellungen, in Träumen und Zeichen, Symbolen und Chiffren. Denn all das will ja nicht mit Erkenntnis konkurrieren, sondern auf das vom Menschen her Unvorstellbare verweisen, will die Wirklichkeit flüssig- und offenhalten für das, was jenseits aller menschlichen Möglichkeiten und aller menschlichen Erwartungen auf den Menschen zukommen kann.

Ein Bild vermag über die Wirklichkeit, wie sie hier und heute ist, hinaus, das vom Menschen her nicht definitiv Aussagbare und Machbare aufblitzen zu lassen. So sprechen die Bilder von einer Realität, die nicht oder noch nicht zum Bereich menschlicher Erfahrung, menschlichen Erkennens und Vermögens gehört. Ja, man kann sagen: Diese überwältigende künftige Wirklichkeit entwirft sich gerade in Bildern vorweg und kommt in Bildern auf den Menschen zu, so daß durch Bilder die Hoffnung auf eine letzte heilvolle Zukunft in uns gewirkt und wachgehalten wird.

Der abendländisch-neuzeitliche Mensch tut sich schwer mit Bildern, Symbolen und Zeichen. Er ist immer in Gefahr, das Bild nur als im Grunde überflüssige Illustration, Metapher und Verschlüsselung eines an sich begrifflich schärfer und adäquater zu fassenden Sachverhalts zu nehmen oder die Wirklichkeit, die das Bild uns erschließt, nur als eine vage, höchst dubiose, geradezu "verdünnte" Wirklichkeit zu nehmen. Wie oft habe ich zu hören bekommen, daß Leute mir nach Überlegungen wie diesen im Gespräch sagten: "Also ist das alles nur ein Bild!?"

Dieses "nur" ist höchst verräterisch; es zeigt, wie sehr unser ganzes Wirklichkeitsverständnis beherrscht ist von der ratio, vom Begriff, von der Abstraktion. Wollen wir aber die Schrift und die alte christliche Überlieferung (und auch die kirchliche sakramentale Praxis = Symbol-Praxis) recht verstehen, müssen wir uns um einen Zugang zur Welt der Bilder bemühen. Das Bild vermittelt uns nicht ein Weniger, sondern ein Mehr an Wirklichkeit als der Begriff. Denn die von uns begriffene, d.h. die unserem Zugriff offene Wirklichkeit ist nur ein Teil des Wirklichen.

Das Kostbarste in unserem Leben und in der Welt können wir nicht begreifen und ergreifen, sondern es kommt auf uns zu als unbegreiflicher Glücksfall: die Liebe, das Schöne, das Faszinierende, die sinnerfüllte Zukunft. Darum ist die angemessene Sprache für Liebe, Schönheit, Ergriffenheit und letzte Sinnerfüllung nicht der Begriff, sondern das Bild. Wenn der christliche Glaube darum die Antwort auf die Frage nach der letzten Zukunft in Bildern gibt, so liegt dies im Wesen der Sache begründet: Hoffnung, letzte Zukunft, universaler Sinn und Bilder gehören aufs tiefste zusammen.

Freilich, wenn auch Bilder nicht durch Begriffe ablösbar sind, bleibt die Frage, wie und woraufhin die Bilder zu verstehen sind. Bilder meinen etwas, zielen auf etwas ab, wollen Aufmerksamkeit und Offenheit für etwas gewinnen. Man kann Bilder auch falsch verstehen, indem man auf etwas Nebensächliches, ja geradezu Irreführendes achtet und die eigentliche Aussageabsicht übersieht. Darum stellt sich die Frage: Woraufhin sind die Hoffnungsbilder des christlichen Glaubens, die von einer letzten erfüllenden Zukunft künden, zu lesen?

Sie sind nicht - wie in der älteren Theologie - als Informationen über künftige dinghafte Vorgänge (Weltuntergang) oder Räume (Himmel, Hölle) zu interpretieren, sondern sind - da sie dem Glauben an den personalen Gott entspringen - selbst strikt "personal" zu verstehen. Das heißt: Nicht auf dies und das, was eintritt oder sein wird, hofft der christliche Glaube, sondern er baut auf eine Person und auf endgültige Gemeinschaft mit ihr, nämlich mit Gott. Pointiert läßt sich sagen: Der Hoffende hofft nicht auf den Himmel als eine selige Welt, sondern er hofft auf Gott, der als Gewonnener und Erreichter der Himmel ist, nämlich die Erfüllung aller Sehnsüchte des Menschen nach personaler Kommunikation, Liebe und Vollendung. Oder: Der Glaubende hat keine Furcht vor der Hölle, sondern er fürchtet sich, Gott zu verfehlen; eben das ist die Hölle.

Der Hoffende erwartet auch nicht ein Gericht im Sinne einer großen dramatischen Endszenerie, sondern weiß, daß er vor Gott sich und sein Leben zu verantworten hat und daß diese Verantwortung für ihn, der immer schuldig geworden ist und schuldig wird, etwas Beklemmendes und Angstvolles ist. In diesem Sinn erwartet der Hoffende nicht Gericht und Fegfeuer im Sinne eines Endereignisses oder Aufenthaltsraumes, sondern die Begegnung mit dem richtenden Gott, die zugleich reinigt und läutert. In diesem Sinn ist die personale Begegnung mit Gott das Gericht und das Fegfeuer. Oder: Der Hoffende weiß nichts von einem künftigen endzeitlichen kosmischen Spektakel, er braucht sich nicht auszumalen, was und wie es geschieht; er baut darauf, daß dann, wenn alles Geschaffene in der Welt am Ende ist, Gott auf ihn und er auf Gott zukommt; eben das meint das Bild von der endzeitlichen Ankunft Gottes in dieser Welt.

Die Hoffnungsbilder der Schrift sind also personal zu interpretieren. Deshalb geben auch die interpersonalen Beziehungen, die zwischen Menschen hier und heute herrschen, und das, was sich in diesen Beziehungen zuträgt, die eigentliche Analogie und Erfahrungsbasis dafür ab, das Letzte und Endgültige schärfer in den Blick zu bekommen.

Diese ersten Hinweise mögen zur Erläuterung dafür genügen, was mit personaler Interpretation der bildhaften Aussagen über die letzte Zukunft gemeint ist: es geht nicht um Wahrsagerei, auch nicht um die Erwartung von irgendwelchen dramatischen Ereignissen, sondern um den Ausdruck der Hoffnung, daß der persönliche Gott die Zukunft des Menschen ist und daß diese Zukunft eine gute ist, eben weil sie die Zukunft Gottes ist.

Aus: Stärker als der Tod. Zukunft, Tod, Auferstehung, Himmel, Hölle, Fegfeuer, Mainz: Matthias Grünewald, 11. Aufl. 1991, S. 17-22.