Sie sind hier: Entdeckungen / Theologie der Reichskrone
Christus von zwei Engeln umrahmt, Inschrift: P[er] me reges regnant
Idealbild Karls des Großen mit der erst 967 für die Mitkrönung Ottos II. geschaffenen Reichskrone und den erst lange nach seinem Tod hergestellten Teilen der Reichskleinodien, gemalt 1513 von Albrecht Dürer im Auftrag seiner Vaterstadt Nürnberg
Pelagia Angelopoulou, Mosaikbild der Theophanu, 1991

Moses Sotiriadis: Theophanu - die Prinzessin aus Ost-Rom

Gunther Wolf: Kaiserin Theophanu und Europa

"Soll ich? - Soll ich nich? - Soll ich?! Knöppe, ihr wollt! nu jerade nich!!" Kreidelithografie nach einer Zeichnung von Isidor Popper, 1849
Medaille Wilhelm I. nach der Kaiserproklamation 1871 (Staats 1976, Abb. 21)
Die 12,5 Meter hohe Germania des Niederwaldenkmals steht auf einem Sockel vor einem Thron im "altdeutschen Stil" mit Adlerwangen. Dieser symbolisiert den Kaiserthron. Obwohl das Denkmal als Ganzes gen Süden ausgerichtet wurde, ist ihr Kopf leicht nach links, also östlich gedreht. Damit schaut sie in den Rheingau, Richtung Deutschland. Mit der rechten Hand hält sie die Reichskrone lorbeerumkränzt empor: selbstbewusst triumphierend nach Westen gegen Frankreich gerichtet. Die linke Hand umfasst dagegen ein gesenktes lorbeerumwundenes Schwert.

Theologie der Reichskrone

Aus: Reinhart Staats, Theologie der Reichskrone. Ottonische "Renovatio Imperii" im Spiegel einer Insignie, Stuttgart: Anton Hirsemann 1976, passim; weitere Auszüge: hier.

Die Reichskrone stammt aus ottonischer Zeit. Es ist wahrscheinlich, daß die Bildplatten "David" und "Salomo" auf der Reichskrone die historischen Personen der beiden Ottonen, Vater und Sohn, repräsentieren, die sich zur imitatio des biblischen Vorbildes berufen fühlten. Der gleiche Rang von Vater und Sohn paßt auch zu jener Heiligkeit eines altgermanischen "Geblütsrechtes", das auch nach der Christianisierung bewahrt blieb.

Die Hervorhebung Salomos (links neben der Stirnplatte die aktuelle politische Situation beschreibend, während rechts neben der Stirnplatte das erhabene sakrale Bild der Majestas Domini erscheint) weist in die Zeit nach 961, als Otto II. zum König erhoben wurde. Otto II., der noster Salomon im Umkreis des Hofes, nahm aber am Romzug des Vaters zur Kaiserkrönung 962 noch nicht teil. Seine Krönung in Rom zum Mitkaiser wird erst am Weihnachtstag 967 von Papst Johannes XIII. in der Peterskirche vollzogen, nachdem Otto der Große die römischen Widerstände endlich bezwungen hatte und der neue Papst fast den Rang eines ihm willfährigen Hofbischofs einnehmen musste. Deshalb ist zu fragen, ob sich die Entstehung der Krone nicht in die Vorbereitungen dieses vornehmlich Sohn Otto II. angehenden Ereignisses einordnen läßt.

Die abendländische Reichskrone ist das Vermächtnis Bruns von Köln an seine Familie. In der Chronik des Thietmar von Merseburg (975-1018) findet sich bisher unausgewertetes Material über Bruns Stellung zu einer corona regni. Schon seit den fünfziger Jahren des 10. Jahrhunderts hatte Brun, der Bruder Ottos des Großen und Erz­bischof von Köln, auf höchster Ebene ein politisches Werk in Angriff genommen, aus dem am Ende tatsächlich ein universales christliches Imperium geworden war.

Die Einrichtung des ottonischen "Reichskirchensystems" war seine Tat. Das von Otto unter dem Einfluß Bruns eingerichtete Reichskirchensystem unterstellte mittels der Bischöfe die gesamte Kirche der Krone. Was immer dahingegangen sein mag, die große missionarische Politik Bruns ist bleibend festgehalten in einer kleinen Insignie einer Essener Goldschmiede.

Betrüblich ist, daß ein besonders wertvoller Stein aus der Krone verloren ging, der berühmte "Waise". Das jetzige Kronenkreuz über der Stirnplatte ist eine nur wenig jüngere Ergänzung eines wahrscheinlich schon vorher vorhandenen Kreuzes. Der achtlappige Bügel entstammt nachweislich der Zeit Konrads II. (1024-1039). Seine aus Perlen gebildete Inschrift lautet: CHUONRADUS DEI GRATIA ROMANORU(m) IMPERATOR AUG(ustus). Es ist nicht ganz sicher, ob Konrad den Bügel anstelle eines älteren, beschädigten hat anbringen lassen.

Die Reichskrone ist die einzige Herrscherkrone der Welt, die statt der Rundung eine achteckige Form aufweist. Sie ist damit ein Symbol für die Auferstehung Christi und zugleich für den Anbruch der Endzeit, die im Bilde des himmlischen Jerusalems für die Christen zur endgültigen Wirklichkeit wird. Das Achteck kehrt auch im Bau der Baptisterien wieder. Der Kaiser trägt also die getaufte Christenheit auf dem Haupt. Wie tief sich die für eine Krone einzigartige oktogonale Gestalt dem allgemeinen Bewußtsein einprägte, bestätigt Walther von der Vogelweide, der im Vergleich mit ihr die Rundkronen der Vasallen verächtlich als "circuli" abtat: "Doch weh dir, deutsches Volk, wie steht es mit deiner Ordnung! ... Die Zirkelkronen sind zu mächtig, die kleinen Könige bedrängen dich: Philipp setz den Waisen auf und laß sie zurücktreten."

Die spätere Behauptung, die Reichskrone sei "Kaiser Karls Krone", ist zwar historisch-chronologisch falsch, darf aber als ein sachlich zutreffendes Interpretament gelten. Albrecht Dürer malte Kaiser Karl den Großen mit der ottonischen Reichskrone auf dem Haupt 1511/13. Das Gemälde befindet sich in Nürnberg im Germanischen Nationalmuseum.

Die vier Bildplatten der Reichskrone stellen David, Salomo, Hiskia (mit dem Propheten Jesaja) und Christus als Weltenherrscher (Majestas Domini) dar.

-        Bei David steht: HONOR REGIS IUDICIVM DILIGIT - "Der ehrenhafte König liebt den Rechtsspruch" (Psalm 99,4).

-        Bei Salomo: TIME DOMINVM ET RECEDE A MALO - "Fürchte Gott und meide Unrecht" (Sprüche 3,7).

-        Bei Hiskia: ECCE ADICIAM SVPER DIES TVOS XV ANNOS - "Wohlan, ich will zu deinen Lebensjahren noch 15 Jahre hinzufügen" (Jesaja 38,5).

-        Bei Christus steht: PER ME REGES REGNANT - "Durch mich regieren die Könige" (Sprüche 8,15).

Stirn- und Nackenplatte sind jeweils bedeckt von 12 Edelsteinen verschiedenster Qualität und Farbe, dazwischen eine große Anzahl von Perlen. Es sind die 12 Edelsteine aus dem Brustschild des Hohenpriesters und die 12 Edelsteine aus dem Grundriß des himmlischen Jerusalems. Sie symbolisieren die 12 Stämme Israels und die 12 Apostel des Lammes. Damit enthüllen Stirn- und Nackenplatte den priesterlich-sakralen Charakter der Reichskrone. Der König ist auch Priester: rex et sacerdos.

Diese Formel spielte schon eine bestimmende Rolle bei der Salbung des Franken Pippin in St. Denis 754, die mit Fug und Recht als Ursprungsdatum für die Weltgeltung der karolingisch-ottonischen Dynastien gilt. Dem gemäß entspringt in ottonischer Zeit das Priestertum des Königs aus dem Akt der Salbung, ja hier aber auch aus dem Akt des Aufsetzens der Krone. Denn im "Mainzer Ordo" spricht der Erzbischof gerade im Vollzug der Krönung dem König die Teilhabe am geistlichen Amt zu!

Unter den Staufern wurde die Reichskrone meist auf dem Trifels verwahrt, von 1125-1273. Vom 22. März 1424 bis zum Jahr 1796 wird dann die Stadt Nürnberg Hüterin des Reichsschatzes, Aufbewahrungsstätte ist das Heilig-Geist-Spital. Nach Zwischenaufenthalten in Regensburg und Passau gelangten die Reichskleinodien schließlich nach Wien. Aber dort waren sie nicht sicher vor dem nach Kaiserwürden strebenden Napoleon. Die Reichskleinodien wurden in Ungarn versteckt. Erst ab 1818 ruhten sie ungestört in der kaiserlichen Schatzkammer zu Wien, bis sie 1938 Adolf Hitler nach Nürnberg "heim" holte zum 10. Reichsparteitag der NSDAP. 1946 wurde die Krone mitsamt den Reichskleinodien rückgeführt nach Wien.

Die Revolution von 1848 hatte durch das Frankfurter Parlament eine neue Verfassung erwirkt, die einen "Kaiser der Deutschen" zum eigentlichen Träger der Reichsexekutive erhob. Mitglieder der Nationalversammlung (darunter Gabriel Riesser) hatten dem Preußen­könig Friedrich Wilhelm IV. das Angebot überbracht, fortan die Kaiserkrone aus Wien zu tragen. Bekannt ist, daß die Weigerung Friedrich Wilhelms IV. das ausschlaggebende Moment für das Scheitern der Frankfurter Paulskirchenbewegung geworden war.

Bestürzend aber war der selbstbekundete Beweggrund im Verhalten des Preußenkönigs. Für ihn war die Erneuerung der alten Kaiserwürde vor allem deshalb unannehmbar, weil ihr jetzt der "Ludergeruch der Revolution" anhafte. In einem Brief an Bunsen, der zugeraten hatte, weist Friedrich Wilhelm IV. das Begehren der Revolutionäre bissig zurück:

"Die Krone, die ein Hohenzollern nehmen dürfte, wenn die Umstände es möglich machen könnten, ist keine, die eine, wenn auch mit fürstlicher Zustimmung eingesetzte, aber in die revolutionäre Saat geschossene Versammlung macht, sondern eine, die den Stempel Gottes trägt ... Die Krone, die die Ottonen, die Hohenstaufen, die Habsburger getragen, kann natürlich ein Hohenzollern tragen, sie ehrt ihn überschwänglich mit tausendjährigem Glanze. Die aber, die Sie - leider - meinen, verunehrt überschwänglich mit ihrem Ludergeruch der Revolution von 1848, der albernsten, dümmsten, schlechtesten, wenn auch, Gottlob, nicht bösesten dieses Jahrhunderts. Einen solchen imaginären Reif, aus Dreck und Letten gebacken, soll ein legitimer König von Gottes Gnaden und nun gar der König von Preußen sich geben lassen, der den Segen hat, wenn auch nicht die älteste, doch die edelste Krone, die niemand gestohlen worden ist, zu tragen? ... Ich sage es Ihnen rund heraus: Soll die tausendjährige Krone deutscher Nation, die 42 Jahre geruht hat, wieder einmal vergeben werden, so bin ich es und meinesgleichen, die sie vergeben werden. Und wehe dem, der sich anmaßt, was ihm nicht zukommt!"

In historischer Stunde fixierte der preußische König hauptsächlich die unaristokratische Herkunft der kaisermachenden Personen. Die eigentlich überpersönliche Hoheit der Reichskrone in ihrer Sakramentalität mußte ihm fremd bleiben. Hätte nicht die Predigt vom "König der Könige", die aus der Reichskrone sprach, Friedrich Wilhelm IV. beeindrucken können, weil gerade er sich ökumenisch und christlich gesonnenen Beratern eines "anderen Preußen" geöffnet hatte? Aber das Opfer wurde nicht anerkannt, das Demokraten, Liberale brachten, indem ausgerechnet sie die alte Kaiserkrone antrugen. Mochte man in Berlin vor allem besorgt gewesen sein, daß die Annahme der Kaiserkrone ein militärisches Eingreifen Österreichs und Rußlands nach sich ziehen konnte, so drängt sich in Anbetracht der nachfolgenden deutschen Geschichte trotzdem die Frage auf, ob hier nicht ein großer Augenblick kleinmütig verpaßt wurde.

Die Krone konnte dann nach 1848 keine tiefere Ehrfurcht mehr erheischen. Als sie den Gründungsfeierlichkeiten des "zweiten" Reiches 1871 Symbolkraft leihen sollte, blieb es ja bei einem eher geschmacklosen Versuch. Die biblisch-christliche Aussage war verstummt, aber die Reichsidee lebte fort, nun auf Christus den Welterlöser und König der Könige verzichtend. Stattdessen wird die "Germania" abgebildet.

Dann schließlich pervertierte die alte Reichsidee so sehr, daß sie, die einst der weltenrichtenden Majestas Domini unterworfen sein wollte, sich nun selbst zum Weltenrichter erhob. Das sogenannte "dritte" Reich war der schlechthin entchristlichte Staat, der doch raffiniert mit dem ersten mittelalterlichen Reich als großem Vorbild die Massen anlockte.

Der nationalsozialistische Mißbrauch der Reichskrone hat nach dem Untergang des "Dritten Reiches" ein totales Vergessen bewirkt. Seitdem ist der Ort der Krone allein das Museum. Wo immer Veröffentlichungen über die neuere deutsche Geschichte und Gesellschaft erscheinen, wird man die Stichworte "Krone" und auch "Reich" meist vergeblich suchen. Ist die Reichskrone nicht ein Kunstwerk, welches wie wohl kein anderes im Abendland tiefgreifend gesellschaftspolitisch gewirkt hat? Hat nicht noch vor wenigen Jahrzehnten das Wort "Reich" eine uralte, massenerweckende Zauberformel angesprochen? Begriffe können mächtig sein - aber ihres konkreten ursprünglichen Inhalts entleert können sie Verhängnis wirken. Das Ergebnis ist, "dass die Reichstradition an ihre Grenzen gekommen ist, erschöpft, verbraucht, verdorben" (R. Wittram). Das moderne Deutschland hat sich seiner Krone entfremdet, der es fast ein Jahrtausend Gefolgschaft geleistet hatte.

Nun ist freilich jenes Reich dahin, und seine Krone strahlt doch weiter schön wie vor tausend Jahren. Ihr kosmopolitisches Wesen ist heute noch deutlich erkennbar, ihre großartige politische Vision der wahren friedlichen Gesellschaft im himmlischen Jerusalem ist heute noch anschaubar: "Jerusalem, du wirst sein eine schöne Krone in der Hand des Herrn" (Jes. 62,3). Im Bild des himmlischen Jerusalems ist die Reichskrone das Bild einer Gesellschaft, in der die Menschheit zu sich selber kommen sollte, nämlich zum Kosmokrator Christus in einem Reich des Weltfriedens und der Welterlösung.